Die Sekundärreserve (auch „Sekundärregelleistung", abgekürzt SRL) dient als kurzfristig aktivierbare Reserve im Stromnetz der Sicherstellung der Netzfrequenzstabilität. Sie wird angefordert, wenn die Normalfrequenz von 50 Hertz in einem der vier bundesdeutschen Übertragungsnetze aufgrund von Lastschwankungen nicht gehalten werden kann. Im europäischen Kontext entspricht laut dem Verbund der zentraleuropäischen Übertragungsnetzbetreiber ENTSO-E („European Network of Transmission System Operators for Electricity") die automatic Frequency Restoration Reserve (aFRR) der Sekundärregelleistung.
Im Gegensatz zur Primärreserve wird die Sekundärreserve – ebensowenig wie die Minutenreserve – nicht gemeinsam im europäischen Verbund bereitgestellt, sondern im Rahmen des Netzregelverbunds von den vier deutschen Übertragungsnetzbetreibern (Abkürzung: ÜNB). Diese sind zum gegenseitigen Austausch von aktuellen Informationen zur jeweiligen Netzsituation in ihren Bereichen verpflichtet, um ein koordiniertes Zusammenwirken gegen Netzschwankungen zu ermöglichen. Würden die vier ÜNB den Netzschwankungen nicht koordiniert entgegenwirken, käme es in Fällen, in denen in einem Übertragungsnetz eine Unterfrequenz vorhanden ist, während in einem anderen Übertragungsnetz zu viel Strom in den Leitungen ist, zu einem ineffizienten Gegeneinanderregeln zwischen den Übertragungsnetzen. In dem einen Netz würde über die Sekundär- oder Minutenreserve mehr Strom abgerufen werden, während im anderen Netz die Produktion heruntergeregelt werden müsste. Durch die Koordinierung der Netzbetreiber und die sogenannte „Ausregelung" über die Grenzen der einzelnen Übertragungsnetze hinweg können die Schwankungen jedoch glücklicherweise viel effizienter ausgeglichen werden.
Sekundärreserve wird bisher zumeist von gut regelbaren und vollautomatisch schaltbaren Kraftwerken, wie z.B. Pumpspeicherkraftwerken oder Gasturbinen, bereitgestellt. Seit einigen Jahren tragen allerdings auch Virtuelle Kraftwerke aus Biogasanlagen, Batteriespeichern, BHKWs und flexiblen Stromverbrauchern in großem Umfang Sekundärregelleistung zur Netzstabilität bei.
Die Übertragungsnetzbetreiber setzen Sekundärregelleistung ein, wenn bestehende Frequenzabweichungen nicht allein durch die Aktivierung von Primärregelleistung ausgeglichen werden können. Bei Netzschwankungen, die länger als 15 Minuten andauern, wird die Sekundärreserve wiederum von der Minutenreserve abgelöst.
Die Sekundärreserve muss von den Übertragungsnetzbetreibern innerhalb von 5 Minuten bereitgestellt werden, um die Primärreserve bei Netzschwankungen abzulösen. Die bereitgestellte Leistung muss dann für 15 Minuten zur Verfügung stehen. Alle teilnehmenden Anbieter sind in der Sekundärreserve über eine Kommunikationsverbindung mit der Leitwarte des jeweiligen Übertragungsnetzbetreibers verbunden und tauschen Daten in Echtzeit aus. Jeder ÜNB betreibt einen eigenen Leistungsfrequenzregler, der einen Sekundärreserveabruf vollautomatisiert auf die bezuschlagten Anbieter verteilt. Im Gegensatz zur Minutenreserve erfolgt eine Aktivierung von Sekundärreserve ohne vorherige Ankündigung der Aktivierung durch die Übertragungsnetzbetreiber (kein Fahrplanprodukt), vielmehr muss eine Reaktion der abgerufenen Sekundärregelleistung bereits 30 Sekunden nach einer Aktivierung zu erkennen sein. Für die Teilnahme an der Sekundärreserve ist es notwendig, dass die gesamte Angebotsleistung eines Teilnehmers innerhalb von fünf Minuten vollständig aktiviert werden kann.
Sollte es vorkommen, dass eine technische Einrichtung, wie beispielsweise ein Kraftwerk, die gewünschte Leistungsanpassung bei der Aktivierung der Sekundärregelleistung nicht erreicht, was als "Nichterbringung" bezeichnet wird, muss die angeforderte Flexibilität von einer anderen technischen Einheit des Anbieters erbracht werden. Jeder Anbieter ist daher verpflichtet, redundante Einheiten bereitzuhalten, quasi eine "Reserve der Reserve", um sicherzustellen, dass die beauftragte Sekundärreserve tatsächlich erbracht wird. Falls trotz der Redundanz keine erfolgreiche Lieferung der Sekundärreserve erfolgt, können Übertragungsnetzbetreiber Strafen oder Sanktionen verhängen, die bis zum Ausschluss vom Regelenergiemarkt reichen können.
Wie in der Primärreserve und der Minutenreserve müssen potentielle Anbieter von Sekundärreserve einen Rahmenvertrag mit dem jeweiligen Übertragungsnetzbetreiber schließen, nachdem sie einen Präqualifikationsprozess durchlaufen haben. Die Bedingungen für die Präqualifikation der Sekundärregelleistung sind im Anhang D2 des Transmission Codes 2007 der deutschen Übertragungsnetzbetreiber festgelegt.
In der Sekundärreserve lag die Mindestangebotshöhe für jeden einzelnen Teilnehmer viele Jahre lang bei fünf Megawatt - seit dem 12. Juli 2018 liegt sie bei einem Megawatt.
Die Liberalisierung des deutschen – und europäischen Strommarkts – führte dazu, dass seit dem 1. Dezember 2007 die Sekundärregelleistung (ebenso wie die Primärregelleistung und bereits seit dem 1. Dezember 2006 die Minutenreserve) in öffentlichen, wettbewerblichen und diskriminierungsfreien Ausschreibungen verauktioniert wird. Die Auktion der Sekundärreserve findet seit dem 12. Juli 2018 kalendertäglich statt und wird über die gemeinsame Internetplattform der ÜNB ausgetragen. Die Auktionsteilnehmer müssen hierbei nicht nur die Höhe des Gebotes abgeben, sondern auch definieren, ob es sich um negative oder positive Regelleistung handelt, da diese separat voneinander ausgeschrieben und auch separat erbracht werden. Die Gebotsabgabe erfolgt bis 9 Uhr am Vortag der Lieferung.
Ebenfalls seit dem 12. Juli 2018 abgelöst ist das alte System mit nur zwei HT (Hauptzeit)- und NT (Nebenzeit)-Zeitscheiben: Nun wird SRL analog zur Minutenreserveleistung und Primärregelleistung in 4-Stunden-Blöcken, also in sechs Blöcken pro Tag, am Regelenergiemarkt gehandelt. Die erste kalendertägliche Auktion fand am Mittwoch, den 11. Juli 2018 für den folgenden Donnerstag statt.
Da sich die Vergütung der Sekundärreserve in Leistungspreis und Arbeitspreis aufteilt, müssen beide Preise bei der Gebotsabgabe angegeben werden. Der Leistungspreis, gehandelt im Regelleistungsmarkt, gibt hierbei einen Festpreis an, den der jeweilige Teilnehmer für die Bereitstellung von SRL erhält. Der Arbeitspreis umschreibt die Vergütung für die später, während des Angebotszeitraums, tatsächlich erbrachte Arbeit. Der Regelarbeitsmarkt ist seit November 2020 verantwortlich für den Handel der Arbeitsenergie - also der abgerufenen Energie durch die ÜNB. Mit diesem geänderten Marktdesign ist der Regelarbeitsmarkt nun vollständig unabhängig vom Regelleistungsmarkt. Somit ist auch das Abgeben von nachträglichen Geboten („free bids“) für SRL möglich, selbst wenn kein Zuschlag in der Leistungsauktion erfolgt ist. Relevant für die Bezuschlagung der einzelnen Gebote ist weiterhin allein die Höhe des Leistungs- oder Arbeitspreises.
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Betreiber von flexiblen Anlagen der Stromerzeugung, Stromspeicherung oder des Stromverbrauchs erhalten für die Bereitschaft, im Fall der Fälle den Einsatz ihrer Anlagen zur Lieferung von Sekundärreserve anzupassen, einen Leistungspreis. Der Leistungspreis ist also eine Bereitschaftsvergütung für die Vorhaltung von flexibler Leistung. Er wird in einem Pay-as-Bid-Verfahren bestimmt. Das bedeutet, dass jeder Anbieter die Höhe seines eigenen Leistungspreises entsprechend seinen Kosten der Bereitstellung selbst bestimmen kann und bei Bezuschlagung seines Gebots exakt den Preis erhält, den er eingestellt hat.
Nach Ablauf der Ausschreibung sortieren die ÜNB alle Gebote anhand der gebotenen Leistungspreise in einer Merit-Order-Liste (MOL) vom niedrigsten zum höchsten Gebot an. Anschließend werden die niedrigsten Leistungspreise zuerst bezuschlagt, dann kommen die teureren Leistungspreisgebote zum Zuge bis der erforderliche Bedarf gedeckt ist.
Die Leistungspreise schwanken enorm in Abhängigkeit von Marktentwicklungen und saisonalen Gegebenheiten. Bis 2020 war insgesamt ein sinkender Trend der durchschnittlichen Leistungspreise zu erkennen. Ein Grund hierfür war unter anderem, dass durch Senkungen der Eintrittshürde in den Regelenergiemarkt auf 5 MW und seit dem 12. Juli 2018 auf 1 MW mittlerweile wesentlich mehr Teilnehmer am Regelenergiemarkt agieren und das Gesamtangebot an Regelenergie gestiegen ist. Mit den gesunkenen Kosten der Regelenergiebereitstellung ging auch eine Senkung der Netzentgelte einher. Seit 2021 ist aber wieder ein deutlicher Anstieg der Leistungspreise zu beobachten, was vor allem mit den stark gestiegenen CO2 - und Gaspreisen zusammenhängt. Mit dem Ausstieg aus Atomkraft und Kohle sind weitere Preissteigerungen auf dem Regelenergiemarkt zu erwarten.
Sobald ein Regelenergiepool oder eine Anlage aus der Merit-Order-Liste für den Bereitstellungspool bezuschlagt wurde, entscheiden allein die gebotenen Arbeitspreise über den tatsächlichen Abruf der Anlagen. Diese werden jedoch nicht wie die Leistungspreise über ein Pay-as-Bid-Verfahren bestimmt, sondern seit dem Sommer 2022 durch das pay-as-cleared-Verfahren („Marginal Pricing“). Dabei gilt der Preis des höchsten Gebots innerhalb der Gruppe der im jeweiligen Abruf aktivierten Anlagen für alle abgerufenen Anlagen. Durch die Einführung des Regelarbeitsmarktes für SRL und MRL erfolgen die Auktionen für die Erbringung von Regelarbeit seit November 2020 unabhängig von den abgegebenen Regelleistungsangeboten. Die Teilnahme an der Arbeitspreisauktion ist jetzt auch dann möglich, wenn kein Zuschlag des Leistungspreises in der Leistungspreisauktion zustande kommt. Stehen kurzfristige Flexibilitäten bereit, können diese über free bids bis zur Beendigung der jeweiligen Regelarbeitsmarktauktionen (Gate-Closure-Zeit) eingestellt oder verändert werden. Die Arbeitspreisgebote werden dann wieder in einer Merit-Order-Liste vom niedrigsten zum höchsten Gebot angeordnet und beginnend mit dem niedrigsten Preis je nach Bedarf an Sekundärreserve abgerufen.
Über das beschriebene Auktionsverfahren wird gewährleistet, dass die Vorhaltung und Erbringung von Sekundärreserve für die ÜNB so günstig wie möglich bleibt, da kostengünstige Anlagen im Abruffall dank der Merit-Order-Liste bevorzugt abgerufen werden. Das bedeutet aber auch, dass die Anlagen mit den teuersten Arbeitspreisen, die in der Merit-Order-Liste weit hinten stehen, selten abgerufen werden, und daher häufig nicht in die Kosten von Regelenergieabrufen einfließen.
Mehr Informationen
Seit dem 9. Dezember 2019 passen die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) den Bedarf an Sekundärreserve nicht mehr vierteljährlich an, sondern stellen ihn dynamisch ein und berücksichtigen dies bei den folgenden Ausschreibungen. Die Berechnung dieses Bedarfs an Sekundärregelleistung wird hauptsächlich durch die tatsächlich benötigte Menge im vorherigen Betrachtungszeitraum beeinflusst.
Die Umsetzung der 2017 von der Europäischen Kommission eingeführten Electricity Balancing Guideline wird zukünftig die Dimensionierung, Auktionierung und den Austausch von SRL/aFRR in der Europäischen Union verändern. Es ist geplant, die Harmonisierung zwischen den Mitgliedsstaaten voranzutreiben, um eine höhere Effizienz bei gleichbleibender oder sogar verbesserte Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Das die Sekundärreserve betreffende Harmonisierungsprojekt der ENTSO-E wird unter dem Namen PICASSO (Platform for the International Coordination of Automated Frequency Restoration and Stable System Operation) geführt.
Die Sekundärreserve hatte lange Zeit den größten Anteil an den Regelenergiekosten. Doch dieser sank kontinuierlich, bis 2017 die Kosten der Vorhaltung der Primärregelleistung die Kosten der Vorhaltung der SRL überstiegen.
Erst im Zuge der Energiekrise, die im Jahr 2021 ihren Anfang nahm, verteuerten sich die Vorhaltungskosten der Sekundärreserve wieder enorm. Dies ist vor allem auf die zwischenzeitlich stark gestiegenen Erdgas- und CO2-Preise zurückzuführen.
Hinweis: Next Kraftwerke übernimmt keine Gewähr für die Vollständigkeit, Richtigkeit und Aktualität der Angaben. Der vorliegende Beitrag dient lediglich der Information und ersetzt keine individuelle Rechtsberatung.