The power of many

Mein Kraftwerk Newsletter +49 221/ 82 00 85 - 0
Lesedauer: 3 min.
von Verena Dubois / 28 Februar 2020
Rekord im Winter 2020: Wind ist Energieträger Nummer eins

Der Winter gehört der Windkraft

Seit Wochen herrscht in Deutschland und den europäischen Nachbarländern Hochsaison in Sachen Windkraft. Die Winterstürme Sabine, Victoria und Yulia brachten neue Rekorde – zuletzt den noch nie dagewesenen Spitzenwert von 46,2 Gigawatt (GW). Der Anteil der Erneuerbaren an der Nettostromerzeugung lag in der dritten Februarwoche bei 69 Prozent, 55 Prozent hiervon steuerte der Wind bei. Nie zuvor wurde so viel Windstrom ins deutsche Stromnetz eingespeist. Sind diese Werte das Ergebnis einer extremen Wetterlage, die uns in diesem Winter einfach außergewöhnlich viele Stürme beschert hat oder lässt sich hier ein genereller Trend erkennen? Und wie kommt eigentlich unser Energiesystem mit diesen Rekordwerten zurecht?

Wo steht die Windenergie?

Werfen wir zunächst einmal den Blick auf die Einspeisewerte der vergangenen Monate: Mit zuverlässiger Konstanz ist die Windkraft seit Oktober an Platz eins der Energieerzeuger und beschert uns einen grüneren Strommix. Über 73 Terawattstunden (TWh) Strom lieferten On- und Offshore-Anlagen in den zurückliegenden fünf Monaten. Zum Vergleich: Mit großem Abstand auf den Rängen zwei und drei rangieren Braunkohle mit rund 38 TWh und Kernkraft mit 30 TWh.

Die Grafik zeigt die Einspeisung von Wind im Winter 2020

Quelle: SMARD Strommarktdaten, Bundesnetzagentur

Wer nun glaubt, der aktuelle Winter sei eine Ausnahmeerscheinung, irrt. Auch in den Wintermonaten 2018/2019 sowie 2017/2018 spielte der Wind über mehrere Monate die Hauptrolle im Energiemix: Von Anfang Oktober 2018 bis Ende März 2019 speisten die Windmüller rund 79 TWh ein, im entsprechenden Vorjahreszeitraum waren es rund 72 TWh Strom.

Rekord bei Windeinspeisung – und das Netz bleibt stabil

Angesichts dieser Zahlen lässt sich zweifelsfrei sagen, dass die Windenergie im Winter die tragende Säule unserer Energieerzeugung ist. Und was ebenfalls einmal laut und deutlich gesagt werden sollte, damit es auch bei den Energiewendezweiflern in der letzten Reihe ankommt: Trotz Rekorden bei den Einspeisewerten kam es zu keinem einzigen Blackout. Das Netz blieb stabil. Dies zeigt, wie gut unser Energiesystem inzwischen auf fluktuierende Energieträger eingestellt ist – wenngleich sich an der ein oder anderen Stelle auch die Grenzen des derzeitigen Ausbaustatus‘ manifestieren.

210 Gigawattstunden Wind abgeregelt

Nach Recherchen von ZEIT ONLINE mussten die Übertragungsnetzbetreiber allein während des Sturmtiefs Sabine 210 Gigawattstunden (GWh) Windstrom abregeln, um Engpässe im Stromnetz zu verhindern. Nicht produzierter Strom, mit dem man den Jahresbedarf einer Kleinstadt decken könnte. Das ist nicht nur schade um den schönen Strom, sondern produziert auch Kosten. Denn wenn Erneuerbare-Energien-Anlagen (EE-Anlagen) im Rahmen des Einspeisemanagements zwangsweise abgeregelt werden, erhalten die Betreiber eine Entschädigung für die entgangenen Erlöse. Die entstandenen Kosten landen dann wiederum über die Netznutzungsentgelte beim Endkunden. Genauso übrigens die Kosten für die zwangsweise Drosselung von Kohle- oder Gaskraftwerken im Rahmen des Redispatchs. Laut Bundesnetzagentur belaufen sich die Entschädigungszahlungen für Einspeisemanagement und Redispatch allein für die ersten drei Quartale 2019 bereits auf 0,95 Milliarden Euro.

Stagnierender Netzausbau, fehlende Flexibilitätsoptionen

Wer nun diese Kosten den Erneuerbaren in die Schuhe schieben will, der übersieht die wahren Verantwortlichen. Um das Potenzial der Windkraft auszuschöpfen, brauchen wir zum einen eine bessere Netzinfrastruktur, die den Windstrom aus dem Norden in den Süden transportiert. Doch deren Ausbau stagniert ebenso wie die Ausgestaltung von Flexibilitätsoptionen auf Verbrauchsseite, die den überschüssigen Strom lokal aufnehmen könnten.

Kein günstiger Windstrom für Stromspeicher und -wandler

An drei Wochenenden in Folge traf eine extrem hohe Windeinspeisung auf eine geringe Stromnachfrage – was rund 20 Stunden negative Strompreise an den Kurzfristbörsen zur Folge hatte. Die 6-Stunden-Regel, nach der die Marktprämie für nach EEG-geförderte Anlagen ausgesetzt wird, sofern sich die Preise über sechs Stunden im negativen Bereich bewegen, griff in beiden Fällen – so wie übrigens schon mehrfach in den vergangenen Wochen. Entspannt werden könnte diese Situation durch eine zusätzliche Stromnachfrage – zum Beispiel durch Power-to-X-Anlagen oder Stromspeicher, die ihren Strom zu diesen Zeiten beziehen könnten. Dass dies nicht passiert, liegt an den Umlagen und Steuern, die dieses Strombezugsmodell momentan noch unrentabel machen. Auch eine direkte Nutzung des abzuregelnden EE-Stroms für Anwendungen im Wärmebereich ist heute aus rechtlichen Gründen noch nicht möglich. Sektorkopplung geht irgendwie anders.

Unflexibler fossiler Kraftwerkssockel

Schauen wir zum Abschluss noch auf den konventionellen Kraftwerkspark. Auch wenn einzelne Kohlekraftwerke während der Stürme heruntergefahren wurden, läuft ein unflexibler Sockel unbeeindruckt von hoher Winderzeugung stur weiter. Gründe hierfür sind nicht unbedingt technische Restriktionen. Oft fehlen auch einfach Anreize, um flexibel an den Märkten zu agieren und so systemdienlich zu produzieren. Dass fossile Kraftwerke nicht aus dem Markt gehen, kann zuletzt auch damit zusammenhängen, dass sie als Must-Run-Kapazitäten Leistung für den Regelenergiemarkt vorhalten. Auch in diesem Bereich sind vorteilhaftere Alternativen verfügbar, die noch nicht ausreichend genutzt werden: Flexible EE-Anlagen und die eben schon erwähnten Stromspeicher und -wandler sind ideale Akteure für die Netzstabilisierung und können Regelenergie emissionsarm bereitstellen.

Rückenwind für die Windenergie

Das nächste Sturmtief steht schon in den Startlöchern und wird uns ein windenergiereiches letztes Februarwochenende mit einem überwiegend grünen Energiemix bescheren. Die Energiewende ist schon ziemlich weit gekommen. Jetzt braucht es Rückenwind aus der Politik: um den Ausbau der Windkraft wieder in Gang zu bringen, eine passende Netzinfrastruktur zu schaffen und die noch brachliegenden Flexibilitätspotenziale nutzbar zu machen.

 

Hinweis: Aktuelle Einspeisedaten der Erneuerbaren und die neuesten Entwicklungen vom Strommarkt finden Sie in unserem kostenlosen Market Watch - jeden Dienstag neu.

 

Hinweis: Next Kraftwerke übernimmt keine Gewähr für die Vollständigkeit, Richtigkeit und Aktualität der Angaben. Der vorliegende Beitrag dient lediglich der Information und ersetzt keine individuelle Rechtsberatung.

Verena Dubois ist Marketing Managerin bei Next Kraftwerke.

Verena Dubois

Deputy Head of Communications and Market Research