In diesem Blogbeitrag schauen wir uns die Geschichte des deutschen Strommarkts an und beleuchten, wie die Regelzonen zu ihrer heutigen Form gekommen sind.
Im ausgehenden 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts vergaben einige Staaten des damaligen Deutschen Reiches Konzessionen an die noch jungen Stromunternehmen und damit die Erlaubnis innerhalb der Staatsgrenzen ihre Straßen zum Aufbau von Elektrizitätsnetzen zu nutzen. Als Gegenleistung bekamen die Staaten eine Beteiligung am Stromverkauf. Die Konzessionen, welche Laufzeiten von bis zu 50 Jahren hatten, machten ihre Inhaber zu Monopolisten in ihren jeweiligen Belieferungsgebieten. In dieser Zeit wurden also bereits die Weichen dafür gestellt, dass die Stromerzeugung und der Netzbetrieb von denselben Unternehmen verantwortet wurden, und sie damit in allen Bereichen des Strommarkts konkurrenzlos wurden. Dieser Entwicklung hielt sich weitestgehend bis zur Strommarktliberalisierung im Jahr 1998.
Mit dem rasanten Fortschreiten der Elektrifizierung Deutschlands ging ein Ausbau der Versorgungsgebiete lokaler Stromversorger wie PreussenElektra, Bayernwerke und Badenwerke einher. In dessen Folge entbrannten in den 1920er Jahren erbitterte Auseinandersetzungen zwischen den Stromlieferanten um die Versorgungshoheit. Insbesondere PreussenElektra (bzw. ihre Vorgängerorganisationen) und RWE rangen damals um die Versorgungsgebiete im heutigen Nordrhein-Westfalen und prägten damit den Begriff des „Elektrokriegs“. Diese Auseinandersetzungen wurden in den Jahren 1927 und 1928 mit dem ersten Elektrofrieden beigelegt, durch den ein Demarkationsvertrag zur Aufteilung des deutschen Strommarktes auf die Versorger und Netzbetreiber für eine Dauer von 50 Jahren festgelegt wurde. Die größten Stromproduzenten teilten also im gegenseitigen Einvernehmen den Strommarkt untereinander auf und waren damit in ihren Gebieten wieder konkurrenzlos.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es im Westen Deutschlands dann acht Hauptstromversorger:
Im Osten Deutschlands gab es zu der Zeit die Elektrowerke AG (EWAG), die seit 1943 Teil der Vereinigten Industrieunternehmungen (VIAG) war. Nach der Gründung der DDR verlor die EWAG als Westberliner Unternehmen fast ihr gesamtes Versorgungsgebiet in der nun sowjetischen Besatzungszone und damit ihre Bedeutung als Energieversorger. Sie bestand aber formal weiter. Die Energieversorgung wurde in der DDR fortan durch 15 Volkseigene Bezirkskombinate verantwortet.
Nach der Wiedervereinigung bot sich für die westdeutschen Stromversorger nach langer Zeit wieder die Chance, ihre Marktanteile zu erweitern. Darum handelten PreussenElektra, RWE und Bayernwerk mit dem damaligen Energieminister der DDR den „Stromvertrag“ aus. Er sorgte dafür, dass im Jahr 1994 die ehemaligen Volkseigenen Bezirkskombinate – außer den Netzen und Versorgungseinheiten der Stadtwerke – in der Vereinigten Energiewerke AG (VEAG) zusammengeschlossen wurden. 75 % ihrer Anteile wurden an PreussenElektra, RWE und Bayernwerk veräußert, die auch gemeinsam die Geschäftsführung übernahmen und die Versorgungssicherheit in den Ländern der ehemaligen DDR gewährleisten sollten. Die übrigen 25 % der VEAG wurden auf die fünf kleineren westdeutschen Energieunternehmen BEWAG, HEW, VEW, EVS und Badenwerk aufgeteilt. Die Anzahl der großen Teilnehmer im gesamtdeutschen Strommarkt hatte sich somit erneut verringert.
Nach dem EU-Beschluss der Strommarktliberalisierung von 1997 wurde in Deutschland der Strommarkt im Jahr 1998 vollständig liberalisiert. Um sich gegen den befürchteten wachsenden Wettbewerb nach der Strommarktliberalisierung zu rüsten, gingen die traditionellen deutschen Stromkonzerne zwischen 1997 und 2002 eine Reihe von Fusionen in Milliardenhöhe ein.
Die Konsequenz: Bis zum Jahr 2002 waren auf dem deutschen Strommarkt vier Großkonzerne entstanden, RWE, E.ON, Vattenfall Europe und EnBW, die Deutschland in vier Versorgungsgebieten weitgehend unter sich aufteilten. Anstelle der von der EU angestrebten Förderung des Wettbewerbs hatten die großen Anbieter nun noch weniger reelle Konkurrenz als vor der Strommarktliberalisierung. Die vier Hauptstromversorger waren neben der Produktion und Verteilung nach wie vor auch für die Übertragung des Stroms durch ihre Höchst- und Hochspannungsleitungen verantwortlich. Ihre Versorgungsgebiete entsprachen schon damals den Grenzen der vier Regelzonen, wie sie auch heute noch bestehen.
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Zur Umsetzung des Dritten Energiepakets der EU aus dem Jahr 2009 wurde im Jahr 2011 die Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes in Deutschland verabschiedet. Sie sah über die vormals mit der Strommarktliberalisierung beschlossene Beseitigung von Eintrittshürden in den Strommarkt hinaus eine Trennung des Netzbetriebs von der Stromversorgung und -erzeugung vor (Entflechtung bzw. Unbundling). Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die oben beschriebenen historischen Entwicklungen dazu geführt, dass die Stromproduktion, die Übertragung durch die Hochspannungsnetze und die Verteilung über die regionalen Verteilnetze zu den Endverbrauchern in weiten Teilen in den gleichen Händen lagen. Die größten Stromerzeuger verfügten also gleichzeitig auch über die größten Teile der Stromnetze, durch die der Strom von den Kraftwerken zu den Verbrauchsstellen geleitet wird, und hatten somit zusätzliche Kontrollmöglichkeiten darüber, welche Anbieter wo welchen Strom einspeisen durften.
In den Jahren 2010 bis 2012 veräußerten RWE, E.ON, Vattenfall Europe und EnBW ihre Übertragungsnetze [1] im Sinne des von der EU gewünschten Unbundling an die heutigen Übertragungsnetzbetreiber TenneT, 50Hertz, Amprion und TransnetBW. Mit diesem Schritt sollte eine formelle Trennung der Stromübertragung von der Stromerzeugung umgesetzt werden, um die Kontrollmöglichkeiten der Stromkonzerne im Strommarkt einzuschränken.
Unsere Darstellung der historischen Entwicklung des Strommarktes zeigt auf, dass die Grenzen der Regelzonen bis heute weitgehend auf Grenzen zurückzuführen sind, die über viele Jahrzehnte entstanden sind. Die Versorgungsgebiete der Stromproduzenten, die bis ins Jahr 2012 gleichzeitig auch die Übertragungsnetzbetreiber waren, haben sich als Inselnetze ausgehend von den ehemaligen Gebieten der Staaten des deutschen Reiches ausgebreitet. Die Grenzen der einzelnen Regelzonen haben sich damit nicht aus wirtschaftlich oder technisch effizienten Gesichtspunkten gebildet, sondern aus geopolitischen Gegebenheiten.
Daher stellt sich uns die Frage, ob eine andere Verteilung der Regelzonen unter wirtschaftlichen und technischen Gesichtspunkten eventuell effizienter für den Ausgleich von Angebot und Nachfrage im deutschen Stromnetz wäre. Zwar sind die Regelzonen heutzutage über Kuppelstellen miteinander verbunden und es besteht ein Netzregelverbund zwischen den vier Übertragungsnetzbetreibern. Jedoch wäre es denkbar, dass eine andere Aufteilung der Regelzonen für die schnelle und kostengünstige Verteilung von Strom förderlicher wäre.
In unserem nächsten Blogbeitrag der Serie wollen wir daher die folgenden Fragestellungen untersuchen:
[1] Auch die regionalen Verteilnetze sind vom Unbundling betroffen, das heißt auch dort verlangt das Energiewirtschaftsgesetz 2011, dass der Betrieb der Netze von Stromerzeugung und -handel abgespalten und durch eine unabhängige Gesellschaft durchgeführt wird. Da wir uns im Weiteren auf die Übertragungsnetzebene der Regelzonen fokussieren möchten, haben wir die Auswirkung der Gesetzesänderung auf die Verteilnetze ausgespart.
Fotocredit: april (rottnapples), Lizenz: CC BY 2.0
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