Der Bilanzkreis ist die kleinste Einheit des Energiemarktmodells und bezeichnet in der Energiewirtschaft ein virtuelles Energiemengenkonto. Dieses Konto dient als Instrument zum Ordnen des Strom- und Gasmarktes. Prinzipiell geht es um die Ausgeglichenheit einer beliebigen Anzahl von Energieeinspeisungen und -ausspeisungen. Dies verhindert Über- sowie Unterproduktion weitestgehend und macht Energie effizient nutzbar. Das Ziel besteht also darin, den Bilanzkreis durch Fahrplanmanagement übereinstimmend zu saldieren, so dass die in das Netz eingespeiste Energiemenge der gleichzeitig aus dem Netz verbrauchten Energiemenge entspricht. Der Bilanzkreis ermöglicht zusätzlich die Abwicklung von Handelsgeschäften.
Die hohe Anzahl von Bilanzkreisen ist in Deutschland regelzonen- bzw. marktgebietsspezifisch strukturiert. Sogenannte Bilanzkreisverantwortliche (BKV) sind die primär zuständigen Akteure, die den Bilanzkreis bewirtschaften. Beispielsweise können Energieversorger oder Energiehändler als BKV in Erscheinung treten. Die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) im Falle von Strom bzw. Marktgebietsverantwortlichen (MGV) im Falle von Gas kontrollieren die Tätigkeiten der BKV.
Die Interaktionen und Zuständigkeiten zwischen Bilanzkreis-Verantwortlichem und ÜNB (BK6-06-013) bzw. MGV (KoV Gas VIII Anlage 4) sind vertraglich standardisiert.
Die vier bundesdeutschen Übertragungsnetzbetreiber – TenneT, 50Hertz, Amprion, TransnetBW – sind für ihre gleichnamigen Regelzonen verantwortlich und verwalten die Menge aller Bilanzkreise in ihrem Zuständigkeitsgebiet.
Die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) verantworten also, dass das Zusammenspiel aus Einspeisung und Verbrauch übereinstimmt und verlangen dafür von den Bilanzkreisverantwortlichen (BKV), dass sie ihre Bilanzkreise im Gleichgewicht halten. Hierzu erstellen diese am Vortag eine möglichst genaue Prognose auf Viertelstundenbasis für die abzuwickelnden Handelsgeschäfte. Diesen Fahrplan übermitteln die BKV dann an die ÜNB. Die ÜNB gleichen daraufhin den Fahrplan mit ihren eignen Werten – den sogenannten Lastflussberechnungen – ab.
Durch den steigenden Ausbau Erneuerbarer Energien werden Prognosen komplizierter. Insbesondere bei volatilen Stromerzeugungsanlagen ist die Abhängigkeit von wetterspezifischen bzw. saisonalen Effekten bedeutsam. Um von diesen, teils extremen Schwankungen unabhängiger zu sein, empfiehlt sich für einen BKV ein flexibles Portfolio, das sowohl volatile als auch flexibel steuerbare Stromerzeuger und -verbraucher enthält. Steuerbare Stromerzeuger sind zum Beispiel Biogas- und KWK-Anlagen, Wasserkraftwerke oder Notstromaggregate. Auch Stromverbraucher können flexibel steuerbar sein, wenn sie ihren Stromverbrauch in gewissen Grenzen verlegen können. Batterien sind ebenfalls steuerbar, allerdings sind sie gleichzeitig Stromproduzenten und -verbraucher. Bis zu einem gewissen Grad können solche gut regelbaren und/ oder geografisch verteilten Stromquellen aus dem eigenen Portfolio zu einem wichtigen Hilfsmittel werden, um Unausgeglichenheiten zu vermeiden.
Die Übertragungsnetzbetreiber müssen bei einem Missverhältnis zwischen fahrplanmäßigen und realer Strommengen in zweierlei Hinsicht die Balance halten: Zum einen müssen sie die fehlende Strommenge physisch in Form von Regelenergie im Fahrplanmanagement bereitstellen um die Netzsicherheit zu gewährleisten – allerdings nur, wenn sie in der jeweiligen Regelzone keine Über- oder Unterspeisungen verrechnen können. Zum anderen müssen sie die ÜNB die Abweichungen bilanziell ausgleichen. Dazu muss der Bilanzkreiskoordinator (BIKO) des ÜNB zunächst die Bilanzkreisabweichungen ermitteln; diese stellt er anschließend dem Bilanzkreisverantwortlichen in Rechnung. Dieses virtuelle Konstrukt bezeichnet die Energiewirtschaft auch als Ausgleichsenergie.
Die Ausgleichsenergie ist ein rein bilanzielles Hilfsmittel und stellt das erforderliche Gleichgewicht zwischen den Energiemengenkonten her. Der Preis für Ausgleichsenergie zwar meist höher als der reguläre Strompreis, kann aber zu Rückzahlungen führen, wenn der Bilanzkreis mehr Strom produziert als laut Fahrplan vorgesehen war und gleichzeitig die Regelzone überdeckt ist. Wenn der Bilanzkreisverantwortliche schlechte Prognosen stellt, führt dies auf Dauer zu Misswirtschaft, schlimmstenfalls zur Kündigung durch den ÜNB.
Hier noch ein Beispiel, um die Vorgehensweise zu veranschaulichen: Ein Stromhändler bewirtschaftet einen Bilanzkreis mit einem hohen Anteil an Windkraftanlagen. Dazu gibt er jeden Tag eine Prognose für den darauffolgenden Tag ab. Eine unerwartete Sturmfront erzeugt jedoch in manchen Viertelstunden mehr Strom als der Stromhändler am Vortag prognostizierte. Nun wählt er zwischen verschiedenen Möglichkeiten: Entweder wird der Stromhändler selber aktiv. Dazu „glättet“ er seinen Bilanzkreis, indem er in den jeweiligen Viertelstunden am Intraday-Markt mehr Strom verkauft als ursprünglich geplant. Dieser Verkauf findet als anonymisierte Transaktion zwischen zwei Stromhändlern innerhalb der Regelzone statt. Wenn der Stromhändler mit einer Fernwirktechnik auf die Windkraftanlage in seinem Portfolio zugreift, kann er außerdem die Anlagen abregeln. Letzte Möglichkeit: Der Stromhändler reagiert nicht und nimmt eventuelle Ausgleichsenergiekosten in Kauf – was aber den Marktregeln widerspricht (§ 4 Abs. 2 StromNZV und Ziffer 5.2. des Standardbilanzkreisvertrags) und nicht zu empfehlen ist.
Um das Risiko von Ausgleichsenergiekosten langfristig zu reduzieren, müssen Bilanzkreisverantwortliche ihre Bilanzkreisinteraktionen analytisch steuern. Dieses Bilanzkreismanagement enthält neben der täglichen Prognose folgende Aufgabenfelder:
Die Regulierungen zum Bilanzkreismanagement müssen kontinuierlich auf Entwicklungen im Markt reagieren: Mit der Einführung des Mischpreisverfahrens war es 2018/2019 zu einigen Turbulenzen am Regelenergiemarkt gekommen, die auch Auswirkungen auf die Netzfrequenz hatten. Diese wiederholten Stresszustände im Stromnetz entstanden durch eine Entwertung der Regelenergie als letzter Reserve im Stromnetz – Bilanzkreise konnten billiger auf dem Regelenergiemarkt als auf dem Intradaymarkt glattgestellt werden. In der Folge sackte die Netzfrequenz mehrmals bis fast an die Blackoutgrenze ab. Auch wenn der Gerichtsbeschluss zur Aufhebung des Mischpreisverfahrens aus dem Juli 2019 Abhilfe schaffte, sah die Bundesnetzagentur (BNetzA) Handlungsbedarf beim Bilanzkreismanagement und beschloss, einige Regeln zu verschärfen.
Mit Wirkung zum 15. Januar 2020 müssen daher die Bilanzkreisverantwortlichen spätestens 15 Minuten vor Erfüllungsbeginn Ungleichgewichte in ihrer Bilanz durch eine entsprechende Fahrplanmeldung ausgleichen – absichtliche Ungleichgewichte in Bilanzkreisen aus handelstaktischen Gründen sollen unmöglich werden. Auch wird es bei der Berechnung des regelzonenübergreifenden Ausgleichsenergiepreises (reBAP) Änderungen geben: So kommt es bei der Ermittlung des reBAPs nicht mehr auf die Höhe des Regelenergieabrufs an, sondern auf den ermittelten Saldo des Netzregelzonenverbundes. Wenn dieser einen Wert von mehr als 80 Prozent der kontrahierten Regelleistung aufweist, wird ein Zuschlag von 50 Prozent oder mindestens 100 Euro pro MWh fällig. Die BNetzA begründet diesen Schritt mit einer sehr häufigen Überschreitung dieser 80-Prozent-Schwelle in Verbindung mit dem späterem Nichtabruf der bereitgestellten Regelenergiemenge, was zu Ungleichgewichten im Regelenergiemarkt und in deren Folge zu Schwankungen im Stromnetz führt.
Auf Anraten der Bundesnetzagentur (BNetzA) wurden in den letzten zehn Jahren die Marktgebiete für Erdgas in Deutschland großflächig zusammengelegt. Dies geschah sowohl im Interesse der Vereinfachung des Transportabwicklungsprozesses sowie der Preistransparenz und der Liquidität des Gasmarktes. Seit 2011 sind lediglich zwei qualitätsübergreifende Marktgebiete in Deutschland verblieben, welche die Marktgebietsverantwortlichen (MGV) Gaspool und NetConnect verwalten. Die Energiewirtschaft unterscheidet qualitativ zwischen einem high-calorific-gas (H-Gas) und einem low-calorific-gas (L-Gas), welche beide in den jeweiligen Marktgebieten zur Verfügung stehen. Deutschland importiert H-Gas vornehmlich über Pipelines aus den GUS-Staaten und L-Gas meistens aus den Niederlanden.
Der virtuelle Handelspunkt (VHP) befindet sich innerhalb der Marktgebiete und bezeichnet keinen physischen Ein- oder Ausspeisepunkt, sondern einen idealen Lieferpunkt. Über den VHP können Händler Gas auch ohne Kapazitätsbuchungen kaufen und verkaufen. Die Marktgebietverantwortlichen Gaspool und NetConnect sind für den VHP direkt verantwortlich, zudem unterstehen ihnen zahlreiche Bilanzkreise.
Die Bilanzkreisverantwortlichen streben – wie auf dem Strommarkt – einen ausgeglichenen Saldo an. Sie prognostizieren und nominieren (d.h. bestellen) die zu erwartenden Gasmengen bei den Einspeisenetzbetreibern (ENB), zu denen Gaslieferanten und Gasimporteure zählen. Je nach Bilanzkreis handeln und erfassen anschließend Gaspool oder NetConnect die Nominierungen.
Ausspeisenetzbetreiber (ANB) ermitteln und erfassen schließlich in Zusammenarbeit mit den Messstellenbetreibern die realen Ausspeisungen – gaswirtschaftlich Allokationen genannt – am Ausspeisepunkt des entsprechenden Netzes. Allokationsbemessungen bei Verbrauchern mit Standardlastprofil (Schätzung vorab, Abrechnung nach Jahresablesung) optimieren künftige Prognosen und bilden die Grundlage für die Abwicklung von Bilanzkreisabrechnungen. Bei Verbrauchern mit registrierender Leistungsmessung (RLM), deren Verbrauch mehrmals täglich gemessen wird, sind die Allokationsbemessungen den jeweiligen Lieferanten vorbehalten.
Die Verbrauchsprognosen der Bilanzkreisverantwortlichen sind aber nicht immer zutreffend. So müssen sie, um den Unter- bzw. Überbedarf zu decken und den Bilanzkreis ausgeglichen zu halten, Differenzen zwischen Nominierung und Allokation durch Ausgleichsenergie kompensieren. In der Gaswirtschaft beträgt der Bilanzierungszeitraum einen Gastag (06:00 Uhr bis 05:59 Uhr des Folgetages), sodass ein Händler seinen Tagesbedarf theoretisch in nur wenigen Stunden begleichen könnte, ohne Kosten für Ausgleichsenergie tragen zu müssen. Fallen die stündlichen Abweichungen zu groß aus, muss der Bilanzkreisverantwortliche sogenannte Strukturierungsbeiträge zahlen, denen er durch stündliche Prognosen seiner Gasmenge ausweichen kann.
Durch präzise Gasmengenprognosen kommt es zu einer höheren Versorgungssicherheit und einem geringeren Bedarf an Regelenergie. Die BKV sind bei NetConnect dazu verpflichtet, eine pauschale Bilanzierungsumlage zu entrichten (zurzeit 0,8 EUR/MWh für SLP-Kunden und 0,4 EUR/MWh für RLM-Kunden – Gaspool erhebt keine Bilanzierungsumlage). Regelenergie wird physisch überwiegend intern beschafft – beispielsweise durch vorhandene Netzpuffer und Speicher. Externe Gasbeschaffungen ähneln dem Regelenergiemarkt für Strom. Beim Gasmarkt organisieren die MGV die qualitätsübergreifende Regelenergiebeschaffung.
Durch Veredelungsprozesse aufbereitetes Biogas kann in das deutsche Gasnetz eingespeist werden. Für dieses „Grüngas“ gilt ein gesonderter Biogasbilanzkreis, der bestimmte Bedingungen erfüllen muss. Gemäß §35 Gas NZV handelt es sich um einen erweiterten Bilanzausgleich, um die Erneuerbaren Energien zu fördern.
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