Die Meinung hält sich hartnäckig, dass zu viele erneuerbare Energien im Stromsystem die Versorgungssicherheit gefährden würden. Zwar bestehen aktuell noch Herausforderungen, die die Erneuerbaren (noch) nicht gänzlich alleine lösen können – Stichwort Dunkelflaute – doch der Trend der letzten Jahre zeigt, dass die Versorgungssicherheit in Deutschland, trotz zunehmendem Anteil an dezentralen, erneuerbaren und volatilen Stromerzeugern nicht abnahm. Mehr noch: sie ist sogar gestiegen. Nachvollziehen kann man dies beispielsweise im SAIDI, der von der Bundesnetzagentur erstellt wird.
Seltener in die Schlagzeilen schafft es hingegen ein anderes Risiko der Versorgungssicherheit, welches von einem zu hohen Anteil an konventionellen Kraftwerken ausgeht. Das sogenannte Klumpenrisiko (Bulk Risk Loss) der Konventionellen. Sie haben noch nie davon gehört? Kaum verwunderlich, denn in Deutschland ist das Klumpenrisiko im Energiesystem, dank dem recht hohen EE-Anteil, inzwischen sehr niedrig.
Unter Klumpenrisiko versteht man das Häufen von Ausfallrisiken. Das Risiko wird nicht gestreut. Der Begriff stammt aus dem Bankwesen. Ein Klumpenrisiko entsteht, wenn es zu zu großen Korrelationen im Anlagenportfolio kommt. Auch dann, wenn beispielsweise ein riesiger Kreditrahmen an nur einen Kunden gegeben wird. Sollte dieser nicht zahlen können, dann ist der Kreditgeber selbst in Gefahr bankrott zu gehen. Hingegen ist ein gleichzeitiger Ausfall vieler kleiner Kreditnehmer eher unwahrscheinlich, sprich das Risiko ist geringer. Um Klumpenrisiken zu vermeiden, muss man sein Portfolio diversifizieren und so das Risiko streuen.
Auf das Energiesystem bezogen tritt das Klumpenrisiko immer dann auf, wenn das System zu stark von einigen wenigen Komponenten, wie einzelnen Anlagen oder Akteuren, abhängig ist. Große konventionelle Kraftwerke bündeln große Kapazitäten in einer Anlage, an einem Ort und gehören meist einigen wenigen Unternehmen. Kommt es zu einem Ausfall, hat dies weitreichende Folgen für die Versorgungssicherheit.
Bei Erneuerbaren Energien, insbesondere Wind und Photovoltaik, ergibt sich schon alleine durch die technischen Eigenschaften der Anlagen eine Risikostreuung. Die einzelnen Anlagen sind in der Regel kleiner, zahlreicher und sie sind dezentral verteilt. Das Risiko eines Ausfalls ist auf dermaßen viele Schultern verteilt, dass es immer weiter sinkt.
In Deutschland ist die Versorgungssicherheit, auch wegen der Erneuerbaren, recht hoch. Dies sieht bei unseren Nachbarn im Westen anders aus: In Belgien und Frankreich häufen sich die Meldungen, dass die Versorgungssicherheit bedroht sei. Grund ist, dass die Stromsysteme zu großen Teilen auf großer konventioneller Infrastruktur – auf Atomkraftwerken – beruhen, die mit zunehmendem Alter zunehmende, teils plötzliche, Ausfälle zu verzeichnen haben.
Während die Einspeisung von Wind und PV zwar Schwankungen unterlegen ist, können diese Schwankungen, dank immer besser werdender Prognosen immer besser vorhergesagt und ausgeglichen werden. Diese Prognosen gibt es nicht für einen Ausfall oder einen Störfall von konventionellen Kraftwerken oder Verzögerungen bei Wartungs- und Reparaturarbeiten an den Meilern. Diese lassen sich meist nicht so einfach vorhersagen, passieren plötzlich und wenn sie passieren, dann fallen große Mengen an Kapazität mit einem Schlag für lange Zeit aus. Solche plötzlichen Ausfälle von Großkraftwerken destabilisieren das gesamte europäische Verbundnetz.
Deutlicher wird diese Problematik am Beispiel Belgien.
Gerade einmal 70 Kilometer von Aachen entfernt befindet sich das in die Jahre gekommene Atomkraftwerk Tihange. Immer wieder muss der Meiler abgeschaltet und gewartet werden. Und auch im Atomkraftwerk Doel bröckelt es. Im Jahr 2018 lief wochenlang nur einer der eigentlich sieben belgischen Atommeiler. Die Lage war so desolat, dass der Netzbetreiber Elia warnte, dass insbesondere in verbrauchsintensiven Monaten, wie November, ohne zusätzliche Kapazitäten die Versorgungssicherheit nicht mehr zu gewähren sein würde.
Immerhin werden 50 Prozent des Stroms in Belgien in den Kraftwerken Tihange und Doel generiert. Eine gute Übersicht über den Anstieg der Ausfälle finden Sie auf der Seite der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA).
Doch droht in Belgien tatsächlich der Blackout? Denn bisher ist dieser, trotz bestehender Risiken, noch nicht eingetreten. Führen wie das Gedankenspiel mal aus. Was wären die politischen und marktlichen Folgen des Klumpenrisikos, wenn alle Blöcke gleichzeitig vom Netz gingen?
Bei einem Austritt aller Blöcke käme es zu einer Knappheitssituation in Belgien. Folgen für den Markt wären stark ansteigende Preise. Dies ist insbesondere problematisch für kleinere Player im Stromsystem, die starke Schwankungen weniger leicht abfangen und ausgleichen können. Starke Preisschwankungen bedeuten Stresssituationen für das System, welchen nicht alle Teilnehmer gewachsen sein werden.
Gleichzeitig würden höhere Preise auch größere Anreize für den Ausbau von Kapazitäten bieten. So könnte, durch die Macht des Marktes, der Ausbau der Erneuerbaren beschleunigt werden. Das Problem würde durch selbstverursachte Investitionssignale das Klumpenrisiko längerfristig minimieren.
Das Bulk Loss Risk in Belgien besteht und es ist ein Risiko, welches ernst genommen werden muss und Handeln erfordert.
Fakt ist, dass das Stromsystem in Belgien von einigen großen Kraftwerken und Playern abhängig ist, die dadurch eine große Marktmacht besitzen.
Ein Umbau des Systems hin zu mehr Teilnehmern sollte sukzessive geschehen und nicht, wie derzeit geplant, mit einem Abschalten aller Meiler in sehr kurzer Folge. Im Zusammenhang mit dem Atomausstieg 2025 wird immer wieder die Einführung eines Kapazitätsmarkts diskutiert. Die Debatte ist hitzig und die Befürworter des Kapazitätzmarkts bauen die Drohkulisse des Blackouts auf.
Ob ein Kapazitätsmarkt nötig ist oder nicht, ist meist eine Grundsatzdebatte, die schon alleine dadurch schwierig ist, dass es nicht den einen Kapazitätsmarkt gibt. Wir bei Next Kraftwerke sind der Überzeugung, dass die Einführung eines Kapazitätsmarkts aufgrund bereits vorhandener flexibler Kapazitäten, wie der Regelenergie dem Intraday-Markt, der Harmonisierung des europäischen Strommarkts sowie einer zunehmenden Abstimmung von Stromverbrauch und –produktion, auch in Belgien nach dem Atomausstieg, nicht nötig ist. Hinzu kommt, dass ein Kapazitätsmarkt sehr teuer ist und in der Regel großen und konventionellen Kraftwerken nützt, das Klumpenrisiko wird also eher verstärkt, als abgebaut.
Aktuelle Strategien in Belgien das Klumpenrisiko zu minimieren sowie Alternativen zum Kapazitätsmarkt ab 2025 wollen wir näher ausführen.
Als Konsequenz aus dem Klumpenrisiko sollte und soll zukünftig der Stromhandel mit den Nachbarländern intensiviert werden. Unter anderem auch mit Deutschland. Mit dem Bau des ALEGrO Kabels (Aachen Lüttich Electricity Grid Overlay) wird 2020 eine deutsch-belgische Hochspannungsleitung fertiggestellt werden, die NRW mit Lüttich verbindet. Zuvor gab es keine direkte Verbindung von Deutschland nach Belgien und der Strom musste über die Niederlande geleitet werden, mit damit verbundenen Übertragungsverlusten. Ein wichtiger Schritt hin zu einer Intensivierung des europäischen Stromhandels und Stromnetzes.
Außerdem existiert ein Notfallplan, der regelt wann in welchen Gemeinden wie lange der Strom im Notfall abgeschaltet wird. Dafür wurde Belgien in sechs Tranchen eingeteilt, die je für zwei bis drei Stunden zur Entlastung vom Netz genommen werden sollen. Auch der Bahnverkehr und in der Wallonie sogar die Autobahnbeleuchtung wären davon betroffen. Dies gilt als letztes Mittel gegen einen Blackout.
Eine stärkere Förderung der Erneuerbaren sowie der Ausbau von Kapazitäten, diskutiert werden Gaskraftwerke, ist nötig, um den Atomausstieg bis 2025 zu realisieren. Albert Moser, Professor für Energiewirtschaft an der RWTH Aachen, macht deutlich, dass der Atomausstieg bis 2025 nur zu realisieren ist, wenn Belgien sehr schnell mit der Schaffung von neuen Kapazitäten beginnt.
Zusätzlich wurden Stimmen laut, dass die gleichzeitige Reparatur von sechs der sieben Atomkraftwerksblöcke Kalkül gewesen sein könnte. Electrabel, die die Reparaturen der Kraftwerksblöcke durchführen sollte, geriet aufgrund von Planungsfehlern und der Verzögerung der Reparaturen in die Kritik.
Electrabel, eine Tochter des französischen Engie Konzerns, wolle, so Guido Cramps, früherer Chef der Energieregulierungsbehörde in Belgien, durch das gleichzeitige Abschalten Druck auf die Verhandlungen des Atomausstiegs in Belgien aufbauen. Das Ziel ist, so Cramps, längere Laufzeiten für die bereits abgeschriebenen und daher besonders lukrativen Atomkraftwerke in Belgien zu erreichen.
Eine weitere Facette des Klumpenrisikos von großen konventionellen Kraftwerken wird hier deutlich: Wer auf einige wenige Kraftwerke angewiesen ist, die nur von einigen wenigen Unternehmen betrieben werden, der begibt sich in eine Abhängigkeit von ebendiesen Technologien und Unternehmen und kann so zum Spielball im Rangeln um die Energiewende werden.
Die Aufgabe das Klumpenrisiko zu beseitigen ist schwierig, denn das Klumpenrisiko, wie am Beispiel Belgien verdeutlicht, verhindert selbst seine Abschaffung. Indem die Energieversorgung von wenigen Akteuren abhängig ist, haben diese die Macht eine dringend nötige Umwandlung des Energiesystems hin zu einem höheren Anteil an erneuerbaren Energien zu torpedieren. Dieser aber wäre, nicht nur aus Gründen der Versorgungssicherheit, sondern insbesondere auch für eine erfolgreiche Energiewende notwendig.
Doch es bestehen Möglichkeiten das Marktdesign in Belgien anzupassen, die, bevor über einen Kapazitätsmarkt diskutiert wird, umgesetzt und in den Fokus gestellt werden sollten und bei einer konsequenten Umsetzung die Einführung des teuren Kapazitätsmarkts unnötig machen können. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch eine Studie, die durch das BMWi beauftragt wurde, das bei seiner Analyse des europäischen Elektrizitätsmarkts eine strategische Reserve, statt der Schaffung eines Kapazitätsmarkts, für die Versorgungssicherheit in Belgien als ausreichend sieht.
Dies sind nur zwei Vorschläge, die bereits vorhandene Potenziale ausschöpfen und den belgischen Strommarkt optimieren würden. Weitere Vorschläge für ein verbessertes Marktdesign in Belgien nach dem Atomausstieg wurden hier gesammelt.
Einige Schritte in die richtige Richtung wurden bereits gegangen, andere Low-Hanging Fruit bieten weitere Potenziale den Markt in Belgien auf den Atomausstieg vorzubereiten und so das vorhandene Klumpenrisiko zu streuen. Diese sollten zuerst umgesetzt werden, bevor über die Einführung eines Kapazitätsmarkts überhaupt diskutiert wird.
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