Energiewende, Atomausstieg, Kohleausstieg, da sind sich Bürger und Politik doch irgendwie einig. Wirklich?
In den letzten Monaten mussten wir feststellen, dass die Sonntagsreden selten den Handlungen entsprechen - und das leider direkt bei uns zu Hause, in NRW. Wir wollen das nicht auf uns sitzen lassen, sondern klarstellen: Wer eine Energiewende will, muss mehr in Erneuerbare investieren - und Kohlekraftwerke ausschalten.
Wir haben unser Unternehmen im Jahr 2009 gegründet, um zu zeigen, dass Dezentralität in der Energiewirtschaft, also die Transformation von wenigen klimaschädlichen Großkraftwerken hin zu hunderttausenden Anlagen der Erneuerbaren Energien, eine große volkswirtschaftliche und ja, betriebswirtschaftliche Chance ist. In der Zwischenzeit haben wir rund 100 Mitarbeiter eingestellt, sind durchs Land gereist, um Mitglieder für unser Virtuelles Kraftwerk zu finden, haben über 2.500 dezentrale Erzeuger und Verbraucher eingebunden und vor allem: Wir haben viel zugehört und gesprochen. Von Tokyo bis Washington, von Beverstedt bis Vilshofen an der Donau. Und was man da hört, ist erstaunlich. Die Erneuerbaren werden billiger und billiger, die Versorgungssicherheit ist auf konstant hohem Niveau und auch dies: Man braucht keine Milliarden mehr, um ein Kraftwerk zu bauen. Und dann, ganz spät eigentlich, in den letzten Monaten, um genau zu sein, bekamen wir plötzlich Besuch aus unserer Landeshauptstadt und von Kölner Lokalpolitikern. Wir haben, das müssen wir vornewegschieben, unser Unternehmen bisher vielleicht als Kölner Unternehmen gesehen, ganz bestimmt als ein europäisches oder gar als ein globales Unterfangen – NRW spielte bisher in diesem Bezugsrahmen keine hervorstechende Rolle. So war das eine neue Facette, die wir zu sehen bekamen. Und wir müssen leider sagen, dass wir uns gehörig erschrocken haben. Aber langsam berappeln wir uns von diesem Schock:
Eigentlich ist die Sache doch ganz einfach: Die konventionelle Stromerzeugung trägt erheblich zur Klimaerwärmung bei. Die Klimaerwärmung schadet uns und den Generationen nach uns. Es gibt neue, sauberere Technologien, die konventionelle Stromerzeugung abzulösen. Jetzt haben wir an dieser Stelle oft von NRW-Vertretern gehört: Da sind wir uns ja alle einig, brauchen wir ja gar nicht drüber zu reden. Es gehe nur noch um das „Wie“, nicht mehr um das „Was“. Wir erlauben uns mal, dieser Einschätzung eine Zahl gegenüberzustellen: 11%. Das ist der Anteil der Erneuerbaren Energien am NRW-Bruttostromverbrauch im Jahr 2013, dem letzten Jahr, für das bisher detaillierte Werte vorliegen. Eine peinliche Zahl. Deutschlandweit lag der Anteil der Erneuerbaren Energien im Jahr 2013 bei 25,2%. Jetzt kann man sagen, NRW ist schließlich ein dicht besiedeltes Bundesland mit hohem industriellen Stromverbrauch, man habe ja gar keinen Platz, so viele saubere Anlagen zu bauen. Nun, man hat in Vergangenheit und Gegenwart viel Platz in NRW frei gemacht, um Braunkohle abbauen zu können. 300 km², um genau zu sein. Das ist in etwa die anderthalbfache Fläche des gesamten Stadtgebiets von Düsseldorf. Mal zum Spaß eine ganz grobe Rechnung: Würde man diese Fläche zur Solarstromerzeugung nutzen, käme man auf einen Ertrag von rund 45 Terawattstunden pro Jahr, rund 8% des gesamtdeutschen (!) Stromverbrauchs im Jahr 2014. Und ein paar Windkraftanlagen könnte man ja noch dazustellen. Natürlich ist diese Rechnung hypothetisch, aber sie verdeutlicht: Das Argument der mangelnden Fläche wirkt schier zynisch angesichts des enormen und invasiven Flächenverbrauchs der heimischen Braunkohle. Und weil es so einen Spaß macht, direkt noch zwei Zahlen: 5 und 3. Denn fünf der sieben klimaschädlichsten Kraftwerke Europas stehen in Deutschland und allein drei davon in NRW. Die restlichen zwei liegen übrigens in der Lausitz, wo das beinah feierliche Festhalten an der Braunkohle trotz wesentlich höherer Anteile Erneuerbarer Energien am Stromverbrauch (Brandenburg: 58,6%, Sachsen: 18,4%, beides in 2012) ähnlich stark ausgeprägt zu sein scheint wie in NRW.
Es reicht nicht, warme Worte zum Klimaschutz zu finden und PR-Preise zu verleihen (auch dann nicht, wenn wir sie bekommen). Man muss Windräder bauen; und Solaranlagen; und Biogasanlagen; und Wasserkraftwerke. Und dann muss man nach und nach auch die Kohlemeiler ausschalten. Womit wir beim nächsten Punkt wären.
Es gibt ein freundliches Wort für das Argument, das wir in den letzten Monaten immer wieder gehört haben, wenn es darum ging, den offensichtlichen Konflikt von NRW-Politik und Klimaschutz zu beschreiben: Standortpolitik. Einfach gesagt geht das Argument so: Ja, es ist wirklich bedauerlich, dass drei der sieben klimaschädlichsten Kraftwerke Europas in NRW stehen, aber das ist nun mal so und hat ja auch Vorteile, ganz viel Strom zum Beispiel, viele Beschäftigte und Steuern natürlich. Und da wäre ja auch noch die Beteiligung der Kommunen an den Konzernen, die die der Wirtschaftswunderzeit entsprungenen Kolosse betreiben. Daher müssen wir in NRW diese Konzerne trotz allem unterstützen, wie es nur geht. Bei uns kommt dieses Standortargument so an: Puh, da haben aber viele Leute viel verschlafen… Anstatt mit einem großen Kapital- und Wissensvorsprung Windräder und Solaranlagen und Biogasanlagen und Wasserkraftwerke zu bauen, also anstatt die neuen Technologien gewinnbringend einzusetzen und sich so ihre Marktposition auch in der Zukunft zu sichern, haben unsere NRW-Energiekonzerne ihre lieb gewonnenen alten Kraftwerke weiterbetrieben und sogar neue hinzugebaut. Und jetzt, da ihnen langsam dämmert, dass das Phänomen Erneuerbare Energien gekommen ist, um zu bleiben, kämpfen sie mit allen Mitteln dagegen an, dass sich am stetigen Betrieb ihrer Platzhirsche etwas ändert.
Und wenn NRW-Kommunen durch ihre historische Beteiligung an in der Privatwirtschaft angekommenen Energiekonzernen nun leiden, ist das ein Problem, ganz klar, aber auch ein selbstverschuldetes. Die Kommunen haben ihr Risiko nicht diversifiziert, und nun muss man leider sagen, dass sie auch das finanzielle Risiko dieses Investments tragen müssen. Dass es auch anders geht, zeigt ein Beispiel aus den Niederlanden. Dort stiegen kommunale Eigner beim Verkauf des bis dahin in kommunaler Hand befindlichen Energiekonzerns Essent aus ihrem Investment aus. Ihre Beteiligung wurde ihnen zu riskant und sie bekamen einen für sie zufriedenstellenden Preis für ihre Anteile. Die Kommunen haben sich schlicht wie ein rationaler Investor verhalten. In NRW ist dies nie passiert, warum auch immer. Nun kann man darüber diskutieren, ob Kommunen wirklich spekulativ tätig sein sollten. In dem Moment, in dem sie aber bereits große Anteile an privatwirtschaftlichen Konzernen halten, kommt diese Diskussion zu spät. Und dann bleibt für uns nur die Frage stehen: Reicht es nicht, dass sich manche Kommunen im Ruhrgebiet und im Rheinland in den selbstverschuldeten Ruin getrieben haben? Müssen wir jetzt auch noch eine Pazifikinsel oder die Küstengebiete Bangladeschs mit in den Abwärtsstrudel reißen? Oder, wer es etwas näherliegender mag: Warum sollen die Bewohner westlich von Köln ihre Dörfer für den Braunkohletagebau verlassen, bloß weil bestimmte Entscheider die Zeichen der Zeit nicht verstanden haben? Ein kluger Mann hat mal gesagt, dass nicht die Menschen die Glühbirne erfunden haben, die vorher Kerzen hergestellt haben. An der Stelle, an der wir uns momentan befinden, ist daran anschließend die Frage wichtig: Aber haben die Kerzenfabrikanten, als es die Glühbirne gab, damit begonnen Glühbirnen herzustellen? Viele Entscheidungsträger in NRW scheinen zu glauben: ja. Wir sind uns da nicht so sicher. Und das politische, wirtschaftliche und ökologische Risiko, das hier und heute für zukünftige NRW-Bürger eingegangen wird, sind wir nicht bereit mitzutragen.
Die emotionale Variante des Standortarguments lautet: Tagebau, Braunkohlekraftwerke und Energiekonzerne gehören zur DNA von NRW, sie sind identitätsstiftend und ohne sie wird NRW innerlich leer sein, eine Hülle ohne Knochen. Einer unserer Besucher berichtete mit glänzenden Augen, wie sich diese tolle Zeit nach dem Krieg eingeprägt habe, „als das Ruhrgebiet schwarz von Kohlestaub“ war. Wir sind sicher, und meinen das ganz ernst, dass diese Zeit eine tolle war: Es ging bergauf, überall war plötzlich Licht und Wärme, Klimawandel war nicht bekannt. Nur hilft die Erinnerung an jene Zeit unserer Generation nicht, denn wir wissen vom Klimawandel, uns wärmt es nicht das Herz, wenn wir aus unserem Besprechungsraum drei der sieben klimaschädlichsten Kraftwerke Europas sehen. Unsere Geschichte muss und wird eine andere sein. Ohne Kohlenstaub und ohne festgefahrene Denkschemata.
Aus der unseligen Verquickung von Konzerninteressen und kommunalen Träumen von nicht versiegenden Geldquellen resultieren Verwerfungen, die aus NRW in kurzer Zeit das Gespött Energiedeutschlands machen können. Und es ist schon interessant: Bei allen Besuchen, über die wir uns hier echauffieren, kam ein gehöriges Maß an Sachkenntnis zum Vorschein. Nur wenn es um die Butter geht, kommt Rhetorik. Da ist plötzlich die Rede von Tante Erna, die von ihrer schmalen Rente die EEG-Umlage zahlen muss und damit den Bayern die Solaranlagen auf den Stalldächern finanziert. Puh. Was machen wir mit so einer Aussage? Es wäre uns neu, dass sich Tante Erna alternativ von ihrer schmalen Rente Aktien der großen Energiekonzerne kaufen könnte. Und es wäre uns auch neu, dass sich Tante Erna vom Rest der Welt abkoppeln und den Klimawandel vom Logenplatz aus betrachten kann. Und überhaupt: Was ist das für ein Argument, wenn das Gute in einem anderen Bundesland nicht geschehen soll, weil im eigenen Bundesland die Leute geschlafen haben? Nächstes Beispiel: "Die Erneuerbaren sind zu teuer." Wer das im Jahr 2015 noch behauptet, der kennt die Zahlen nicht. Der Internationale Währungsfonds (!) kam in einer Studie zu dem Ergebnis, dass dieses Jahr die fossilen Energieträger mit 5,3 Billionen Dollar (!!) staatlich bezuschusst wurden – eine Summe, auf die die Erneuerbaren lange nicht kommen. Wer lieber Studien auf Deutsch liest, dem sei die Untersuchung „Was Strom wirklich kostet“ des Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) empfohlen. Machen wir es kurz: Ja, die Erneuerbaren Energien werden gefördert, aber in geringerem Umfang als fossile Energieträger. Und wer Tante Erna auf die Bühne schiebt, weil man so schön ausrechnen kann, was Tante Erna über die transparente EEG-Umlage für die Erneuerbaren ausgeben muss, der sollte zumindest ein Sternchen dran machen und sagen, was Tante Erna über nicht-transparente Steuererleichterungen, Importsubventionen und EU-Mittel für fossile Kraftwerke zahlt. Was zahlt Tante Erna denn über ihre Steuern für das französisch-britische Atomkraftwerk Hinkley Point, dessen Bau gerade beschlossen wurde? Mal ganz zu schweigen davon, dass Tante Ernas Lunge auch nicht mehr die beste ist bei all dem Kohlenstaub. Und Tante Ernas Umsiedlung von Garzweiler nach Erkenschwick war auch nicht billig.
Und kommen wir zur letzten rhetorischen Bastion: Der berühmte Zappelstrom, den die Erneuerbaren angeblich produzieren. Vor wenigen Tagen hat die Bundesnetzagentur den SAIDI-Index für das Jahr 2014 veröffentlicht. Dieser Index zeigt an, wie oft die Bundesbürger im Durchschnitt unter Stromausfällen leiden mussten. 12,28 Minuten waren es für jeden Endverbraucher letztes Jahr – weniger als je zuvor. Die Versorgungsqualität ist also trotz des Ausbaus der Erneuerbaren Energien höher denn je. Ein weiteres Beispiel: Der Preis für Flexibilität am Strommarkt ist so niedrig wie nie zuvor. Wenn wir wegen der schwankenden Erneuerbaren so ungekannt großen Bedarf an Flexibilität hätten, würde sich das im Preis niederschlagen. Oder in den vorzuhaltenden Mengen an Regelenergie, die die Übertragungsnetzbetreiber brauchen, um das Stromnetz im Gleichgewicht zu halten. Der Umfang dieser Reserve ist seit Jahren konstant. Wieso das so ist, haben wir an anderer Stelle zu erklären versucht.
Natürlich gibt es Probleme beim Ausbau der Erneuerbaren Energien. Man kann ein zentralistisches System nicht einfach auf ein dezentrales System umstellen und erwarten, dass sich alles von alleine regelt. Aber diese Umstellung ist nicht nur technisch möglich, sie ist einfach eine Frage des guten Willens an vielen Stellen, in der Politik, bei den Bürgern, in den Unternehmen. Und sollten wir nicht auch zur Abwechslung mal von den Vorteilen einer dezentralen Versorgungsstruktur reden? Das Beispiel Belgiens, wo der ständige Ausfall zentraler fossiler Großkraftwerke zu echten Problemen bei der Stromversorgung führt, legt eine ganz andere Facette von "Versorgungssicherheit" ins Blickfeld. Genauso wie die Frage, welche sicherheitspolitischen und diplomatischen Vorteile es haben wird, wenn Deutschland nicht mehr von Energieimporten abhängig sein wird?
Wir sind uns alle einig, dass wir heute nicht alle fossilen Kraftwerke abschalten können, wir brauchen da noch ein wenig Geduld. Ja, es wird eine oder mehrere Brückentechnologien geben müssen. Diese Brückentechnologie sollte diejenige sein, die die beste Schnittmenge aus Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit vorweist. Und daher wird diese Brückentechnologie nicht die Braunkohle sein, auch wenn das für NRW ein Problem ist. Erdgas oder Steinkohle, darauf läuft es aus heutiger Sicht wohl hinaus. Und noch etwas: Laut dem Weißbuch des Bundeswirtschaftsministeriums zum zukünftigen Strommarktdesign „bestehen 60 GW Überkapazitäten im deutschen und europäischen Strommarkt“. Es stehen also rund 60 Großkraftwerke in Europa, die nicht mehr gebraucht werden. Zum Glück weist das Weißbuch darauf hin, dass es nun an der Zeit ist, diese Überkapazitäten abzubauen. Da könnte man doch mit den drei klimaschädlichsten Kraftwerken in NRW anfangen. Dass dies nicht so einfach ist, wie es sich anhört, ist uns völlig bewusst. Schließlich gehören diese Kraftwerke nicht NRW (wobei wir hier noch einmal auf das an anderer Stelle häufig angebrachte Argument der kommunalen Verflechtung der NRW-Kommunen mit den Kraftwerksbetreibern hinweisen möchten). Aber es kann eben auch kein Argument sein, diese Überkapazitäten auf Teufel komm raus zu erhalten, nur weil die Kraftwerksbetreiber nicht früh genug erkannt haben, dass man mit Erneuerbaren Energien auch gutes Geld verdienen kann. Eine Analogie: Würden Sie ein Unternehmen retten, das Mitte der Neunziger Jahre tausende Schreibmaschinen für die eigene Belegschaft bestellt hat anstatt Computer? Und das noch im Jahr 2015 die eigenen Mitarbeiter vor die Schreibmaschinen zwängt? Und dafür am liebsten noch Geld vom Staat haben will, um die Schreibmaschinen künstlich am Leben zu halten, damit bloß nicht Computer in das Unternehmen Einzug erhalten?
Zusammengefasst: Ja, wir sind uns der Problematik bewusst, die durch die Transformation hin zu 100% Erneuerbaren Energien entsteht. Und wir sind auch bereit, ein Stück weit geduldig zu sein, bis diese Probleme gelöst sind, vom Netzausbau bis zum Abbau konventioneller Überkapazitäten. Wir arbeiten einfach weiter an unserem Ende des Seils. Aber wir sind nicht bereit, länger zu warten als nötig. Denn…
Vielleicht ist es dieser Punkt, der uns so rasend macht. Wir in NRW stehen auf der Bremse. Wieder ein Beispiel: Wir haben von führenden NRW-Vertretern gehört, Deutschland mache sich momentan mit dem Ausstieg aus den fossilen Energien zum Gespött der Welt. Der Satz „Die Polen lachen über uns und betreiben weiter ihre billigen Kohlekraftwerke“ ist uns da ganz besonders in Erinnerung geblieben. Und dieser hier: „Wenn das hier nicht klappt, war’s das mit den Erneuerbaren“. Meine Güte. Erstens: Bei all unseren Begegnungen auf internationalem Parkett haben wir nichts als Bewunderung für die Vorreiterrolle erfahren, die Deutschland beim Ausbau der Erneuerbaren Energien übernommen hat. Die Energiewende ist so gesehen auch die erfolgreichste Imagekampagne der deutschen Nachkriegszeit. „The energiewende“ macht in der englischen Sprache gerade die Karriere von „the kindergarten“. Wenn man daraus keinen wirtschaftlichen Vorteil ziehen kann, sind nicht die Erneuerbaren das Problem, sondern ein gerütteltes Maß an Engstirnigkeit. Zweitens: Gerade in den letzten Monaten prasseln geradezu die Meldungen herein, dass der Ausbau der Erneuerbaren Energien weltweit unumkehrbar an Fahrt aufnimmt. Im Jahr 2013 wurden weltweit erstmals mehr erneuerbare Stromerzeugungskapazitäten errichtet als konventionelle. Die USA machen sich auf den Weg, China schon länger, von den Entwicklungsländern ganz zu schweigen. Natürlich gibt es Gegenbeispiele, aber der Trend ist ganz klar. Das Ding ist quasi durch. Warum auch nicht? Wie bereits erwähnt, sind die Erneuerbaren günstiger als die Konventionellen. Das haben inzwischen auch viele traditionelle Versorger gemerkt und umgeschaltet. Wer an dieser Stelle denkt, Deutschland oder gar NRW seien in dieser globalen Bewegung das Zünglein an der Waage, der hat lange keine Zeitung mehr gelesen. Was tatsächlich auf dem Spiel steht, ist der Vorsprung, den sich Deutschland in den letzten 15 Jahren auf dem Gebiet der Energiewende erarbeitet hat. Diesen Vorsprung ins Ziel zu retten und damit auf Jahrzehnte sichere Arbeitsplätze in NRW zu schaffen, darum geht es.
Die Gegenwart der Stromversorgung ist dezentraler als früher, viele kleine Kraftwerke der Erneuerbaren lösen große konventionelle Kraftwerke ab. Die Zukunft der Stromversorgung wird, da kann man sich schon recht sicher sein, noch viel dezentraler sein. Damit geht einher, dass der Strommarkt multipolarer wird. Es gibt nicht mehr 500 wichtige Akteure in ihm, sondern Hunderttausende, vielleicht Millionen. Das mag man mögen oder nicht: Es wird der Alltag sein. Damit geht einher, dass es nicht mehr die gewohnte geballte Konzernmacht an einzelnen Stellen geben wird. Das kann man eine Demokratisierung der Stromerzeugung nennen. Damit geht aber auch einher, dass es nicht mehr einzelne Unternehmen im Stromsektor geben wird, die Zehntausende Menschen beschäftigen. Es gibt schon heute neue „Berufsprofile“ durch den Ausbau der Erneuerbaren Energien, den berühmten Energiewirt etwa, oder den Prosumer, der selbst erzeugte Energie konsumiert. Und wir könnten nun in eine Zahlenschlacht einsteigen, wer schon heute wie viele Menschen in welchem Sektor beschäftigt, ob die Erneuerbaren mehr Arbeitsplätze schaffen oder die Konventionellen. Doch während wir diese Sätze schreiben (kein Witz!), lesen wir einen Gastbeitrag von Bundesumweltministerin Barbara Hendricks, die neben vielen anderen wunderbaren Sachen auch dieses sagt: „In der Summe werden uns Klimaschutz und Energiewende ohnehin mehr Arbeit und Wohlstand bringen: Im Handwerk, bei Dienstleistungen, in der Industrie und bei einer breit aufgestellten Energiewirtschaft, die weitaus mehr zu bieten hat als der von wenigen dominierte Energiemarkt der Vergangenheit.“ Wir sind übrigens erfreut, und ja überrascht, zu lesen, dass Barbara Hendricks aus NRW kommt.
Die Bewertung der Energiewende durch die Bevölkerung ist seit langer Zeit stabil. Grob zusammengefasst: Rund 70% äußern sich positiv, 10% negativ und rund 20% sind indifferent. An dieser Stelle könnte dieser Absatz bereits zu Ende sein, denn was gibt es einfacheres für einen Politiker als einen ganz klaren Volkswillen? Nun, so einfach scheint es nicht zu sein. Wir hörten oft „Die Leute in NRW wollen nun mal die Braunkohle“ oder „Ich bin ja privat ganz Ihrer Meinung, aber öffentlich wäre es politischer Selbstmord, mich gegen die Braunkohle zu positionieren“. Mit Verlaub, das verstehen wir nicht. Es muss hier ein Problem der Kommunikation vorliegen, vielleicht zwischen den Generationen, vielleicht zwischen Partikularinteressen, vielleicht zwischen Bürgern und Politik. Schauen wir mal wieder auf die Zahlen. Die Agentur für Erneuerbare Energien, gefördert übrigens durch das Bundeswirtschaftsministerium, hat einen wirklich sehr hilfreichen Zahlenatlas veröffentlicht: Dort finden wir für NRW eine Akzeptanz von Windenergieanlagen in der Nachbarschaft in Höhe von 63% der Befragten. Über Kohlekraft in der Nachbarschaft freuen sich… 9% der NRW-Bürger. An dieser Stelle könnte dieser Absatz erneut zu Ende sein, aber wir machen trotzdem noch ein Stück weiter. Liebe NRW-Verantwortliche: Bitte unterschätzen Sie nicht das Momentum, das von der breiten Akzeptanz der Erneuerbaren Energien ausgeht. Verlieren Sie nicht diese Perspektive, nur weil die 10% der Energiewende-Gegner weitaus besser organisiert sind als die 70% der Befürworter. Es ist eine junge Branche, über die wir hier reden. Wir können es aus eigener Erfahrung sagen: Die Geschwindigkeit, mit der neue Ideen und Geschäftsmodelle entstehen, ist so hoch, dass die Prioritäten sich verschieben. Die nächste Innovation für den Strommarkt ist auch in unserem Haus immer wichtiger als solch eine Wortmeldung, die Sie gerade lesen. Wir dachten immer – vielleicht tatsächlich etwas naiv – dass die Zahlen doch so eine eindeutige Sprache sprechen, was hätten wir da noch hinzuzufügen? Vielleicht doch noch dies: Wir werden mehr. In den jüngeren Alterskohorten werden Sie eine noch stärkere Zustimmung zur Energiewende finden als im Durchschnitt. Und wie bereits erwähnt ist das Phänomen Energiewende kein deutsches mehr. Überall auf der Welt begeistern sich mehr und mehr Menschen für Erneuerbare Energien. Sie dürfen das nicht ignorieren.
Wie können wir gemeinsam NRW dazu bringen, den Rückstand bei den Erneuerbaren Energien aufzuholen? Hören Sie nicht mehr nur einer Seite zu. Verabschieden Sie sich von den Gewissheiten des letzten Jahrhunderts: Die sind Geschichte und werden nicht zurückkommen. Wir auf unserer Seite müssen jetzt einen Stein nach dem anderen, der heute noch dem schnellen Ausbau der Erneuerbaren im Weg liegt, beiseite räumen – gemeinsam mit den vielen zielorientierten Akteuren, die es natürlich auch in diesem Bundesland gibt, den vielen Betreibern von Erneuerbaren-Energien-Anlagen, den diversen Forschungsinstituten, Energieagenturen und Verbänden, den progressiven Stadtwerken und Netzbetreibern. Nicht alles in diesem Bundesland ist schlecht und rückwärtsgewandt, natürlich nicht. Aber bis wir guten Gewissens sagen können: Wir in NRW sind energiewendig, bis dahin ist es noch ein weiter Weg.
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