Wer dezentrale Anlagen aggregieren und in einem Virtuellen Kraftwerk bündeln möchte, ist in der Planungsphase mit einer ganzen Reihe von Fragen konfrontiert: Welche Business Cases sind im jeweiligen regulatorischen Kontext realisierbar – und welche sind wirtschaftlich überhaupt sinnvoll? Welche technischen Voraussetzungen müssen die Anlagen für die Anbindung erfüllen – und welche fordert der Netzbetreiber in seinen Grid-Codes? Wir haben einmal die Top 10 Fragen für Sie zusammengetragen, die sich im Rahmen der Projektplanung stellen.
Ein Virtuelles Kraftwerk ermöglicht die Realisierung ganz unterschiedlicher Business Cases, die sich in ihrer Komplexität und ihren Anforderungen deutlich unterscheiden. Die Basisanwendung ist die Vernetzung dezentraler Erzeugungsanlagen über das Leitsystem. Auf diese Weise lassen sich Einspeisewerte der Anlagen zentral überwachen und – unter Verarbeitung weiterer Daten wie z.B. Wetterprognosen – Vorhersagen über deren Produktion treffen. Damit schafft der Aggregator beispielsweise gute Voraussetzungen, um zielgerichtet an den Strombörsen zu handeln.
Neben dem Monitoring macht das Virtuelle Kraftwerk auch die Steuerung der vernetzten Anlagen möglich – und damit eine ganze Reihe interessanter Anwendungen: vom Anlagen-Dispatch über die Bereitstellung von Regelenergie bis hin zum Abregeln von Windkraft bei einem Überangebot an Strom. Welcher Business Case realisierbar und erfolgsversprechend ist, lässt sich nicht isoliert von weiteren Faktoren ermitteln – etwa dem Blick auf die zu vernetzenden Energieträger.
Das Portfolio des potenziellen VPP-Betreibers spielt eine zentrale Rolle bei der Frage nach dem Business Case. Hierbei geht es weniger um die Anzahl der zu vernetzenden Anlagen – so kann etwa unsere VPP-as-a-Service-Lösung NEMOCS problemlos tausende Anlagen aggregieren, – als um die Art der Energieträger. Sollen volatile Anlagen wie Wind- und Solarenergie vernetzt werden, steht wahrscheinlich das Thema Monitoring im Fokus. Die Einspeisung kann überwacht und unter Zuhilfenahme weiterer Tools prognostiziert werden – eine Teilnahme an Flexibilitätsmärkten ist jedoch aufgrund der Anlagencharakteristika eher nicht möglich. Entsprechend ist es in diesen Fällen auch nicht erforderlich, die Anlagen mit Fernsteuereinheiten auszurüsten.
Wer hingegen steuerbare Anlagen wie Biogas- oder KWK-Anlagen über ein Virtuelles Kraftwerk vernetzt, kann sich überlegen, wo er deren Flexibilität am gewinnbringendsten einsetzt. Hierbei kommen zum einen kurzfristige Strombörsen in Betracht: Steuerbare Anlagen können strompreisorientiert gefahren werden, so dass sie höhere Erlöse erzielen und gleichzeitig systemdienlich agieren. Denn höhere Preise bedeuten automatisch auch, dass ein höherer Strombedarf besteht – etwa weil weniger Wind- oder Solarstrom eingespeist wurde als erwartet. Der beschriebene Mechanismus funktioniert auch für flexible Stromverbraucher aus Industrie und Gewerbe (z.B. bei Mahl- und Pressprozessen, Förderpumpen, Kälte-, Wärme und Trockenprozessen, Rechenzentren aber auch Power-to-X-Prozessen), so dass sich über das Virtuelle Kraftwerk auch Lastmanagement und Demand-Response-Konzepte realisieren lassen. Und auch Notstromaggregate und Speichertechnologien sind gute Player im Virtuellen Kraftwerk, die ihre Trümpfe vor allem auf den Regelenergiemärkten ausspielen können.
Das Marktgefüge des jeweiligen Landes gibt den Rahmen dafür vor, welche Business Cases sich überhaupt realisieren lassen. In vielen Ländern existiert noch kein liberalisierter Strommarkt, in dem Stromerzeugung, Netzbetrieb und Stromversorgung in den Händen unterschiedlicher Akteure liegen. In zentralistischen Strukturen fehlen daher auch Strombörsen, auf denen Flexibilität angeboten werden kann. Das bedeutet jedoch noch nicht, dass es hierfür keine Abnehmer gibt: Denn insbesondere die Flexibilität auf Verbraucherseite – zum Beispiel in Form von Demand Response oder Peak Shaving – ist oft ein gefragtes Gut. Gerade, wenn Netze älter sind und ein warmes Klima vorherrscht, lassen sich Netze effektiv entlasten, indem Verbrauchsprozesse bei Stromknappheit verschoben oder ausgesetzt werden. Übertragungs- oder Verteilnetzbetreiber wären in diesem Fall mögliche Abnehmer der Flexibilität, die über das VPP bereitgestellt und gesteuert werden kann.
Und es gibt noch weitere Perspektiven: Denn auch in Ländern, in denen noch keine liberalisierten Märkte existieren, sind Erneuerbare Energien auf dem Vormarsch – und damit wächst auch der Bedarf, die Produktion dieser Anlagen zu überwachen. Mit fortschreitendem Zubau Erneuerbarer Energien entstehen so automatisch neue Ideen für deren effiziente Nutzung – und damit einhergehend auch die Anforderung, sie in einem Virtuellen Kraftwerke zu bündeln. Leider bedeutet das Bestehen von potenziellen Business Cases noch nicht automatisch, dass auch die regulatorischen Rahmenbedingungen existieren, die die Rolle des Aggregators zulassen. Auch dies muss bei der Realisierung einer VPP-Lösung geprüft werden.
In liberalisierten Energiesystemen ist das Marktdesign in der Regel bereits stark ausdifferenziert. Zum Beispiel in unserem Heimatmarkt Deutschland, in dem es nicht nur ein staatliches Bonussystem für Erneuerbare gibt, sondern auch kurzfristige Strombörsen und einen Regelenergiemarkt. In diesem System können sämtliche Funktionen einer VPP-Lösung – Aggregierung, Monitoring und Steuerung – voll ausgeschöpft und so finanzielle Vorteile für den Anlagenbetreiber und den Betreiber des Virtuellen Kraftwerks erwirtschaftet werden.
Möchte der VPP-Betreiber Anlagen Dritter vermarkten, muss er damit so viel erwirtschaften, dass alle beteiligten Parteien profitieren. In Deutschland erhalten Betreiber Erneuerbarer Energien beispielsweise eine Marktprämie, wenn sie ihre Anlage ins Marktgeschehen integrieren. Durch die Teilnahme an weiteren Märkten können die Erlöse noch gesteigert werden – vorausgesetzt, die Betreiber haben als Teil eines Virtuellen Kraftwerks Zugang zu den Märkten. Aus diesen Erlöstöpfen lässt sich genug Mehrerlös erwirtschaften, um sowohl Anlagenbetreiber als auch den Aggregator angemessen zu beteiligen.
Sieht man sich die Kostenseite an, so hat der VPP-Betreiber unter anderem Ausgaben für Marktzugänge und Handelsgebühren, Personal- und Vermarktungsaufwand sowie Ausgleichsenergierisiken. Um diese zu decken, kann ein Profit-Sharing-Modell vereinbart werden – oder auch eine feste Vermarktungsgebühr, die mit leichter kalkulierbaren Einnahmen einhergeht. Wie hoch diese Gebühr ausfallen muss, hängt mit der Wirtschaftlichkeit der Anlage zusammen: Neben Anlagengröße und Anlagenart (steuerbar/volatil) ist im Falle der Strombörsenvermarktung auch der Anlagenstandort relevant. Befindet sich beispielsweise ein Windpark an einem Standort, an dem zahlreiche Windparks des Landes stehen, so wird er an den Märkten weniger hohe Erlöse erzielen. Denn seine Einspeisung korreliert in diesem Fall mit der Gesamtwindeinspeisung des Marktgebiets – was zu niedrigeren Börsenerlösen führt.
Hierbei lohnt sich zunächst der Blick auf die zu vernetzenden Anlagen. Unter Umständen verfügen diese bereits über Protokollschnittstellen, die eine Anbindung ans Leitsystem ermöglichen. Unsere VPP-Lösung NEMOCS unterstützt etwa Standard-Interfaces wie OPCDA, Modbus, Profibus und IEC 104 und ist damit offen für viele unterschiedliche Technologien. Der Datenaustausch mit anderen Systemen auf Seiten des VPP-Betreibers – etwa SAP-Datenbanken, Handelsplattformen oder Abrechnungssystemen – erfolgt über eine API.
Dieses Setup genügt in den meisten uns bekannten Fällen, um eine Fernsteuerung zu etablieren, die für erste Use Cases ausreicht – etwa um die vernetzten Anlagen an den Preisverlauf an den Strombörsen anzupassen. Sollte die zu vernetzende Anlage über keine eigene Anlagensteuerung verfügen, auf die das Leitsystem über ein Interface zugreifen kann oder ist die Bereitstellung von Systemdienstleistungen an den Netzbetreiber ein Teil des Use Cases, muss eine eigene Fernsteuereinheit verbaut werden. Wir verwenden dazu die Next Box, mit der wir eine bidirektionale, digitale Schnittstellenanbindung der Anlage an unser Virtuelles Kraftwerk herstellen. Sie ermöglicht es uns via M2M-Kommunikation, die Produktion der Erzeugungsanlagen – oder auch Verbrauchsprozesse auf Seiten größerer Stromverbraucher – zentral, präzise und unter höchsten Sicherheitsstandards zu steuern.
Jedes Land hat spezifische Netzanforderungen bzw. Richtlinien für den Betrieb des Netzes (Grid Codes), die Erzeugungsanlagen erfüllen (und nachweisen) müssen, um Zugang zum Netz zu erhalten. Dazu gehören etwa die einzuhaltende Spannungsqualität, das Verhalten der Anlage im Störungsfall oder die Kommunikationsschnittstellen, über die der Netzbetreiber auf die Einheit zugreifen kann. Außerdem definiert der Grid Code, welche Voraussetzungen erforderlich sind, um Systemdienstleistungen bereitzustellen. Anlagen in Deutschland müssen etwa ein Testverfahren, die sogenannte Präqualifikation, durchlaufen, um zum Regelenergiemarkt zugelassen zu werden.
Die Energieversorgung gehört zur kritischen Infrastruktur eines Landes – im Falle von Störungen kann die Versorgungssicherheit der Einwohner gefährdet sein. Daher existieren in den meisten Ländern strenge Vorgaben für Unternehmen, die in diesen kritischen Infrastrukturen tätig sind. Bei digitalen Lösungen gerät dabei insbesondere die IT-Sicherheit in den Fokus. Denn wenn eine Vielzahl dezentraler Anlagen über ein zentrales Leitsystem vernetzt und gesteuert werden, muss sichergestellt sein, dass diese Struktur nicht durch Cyberangriffe gefährdet ist. Entsprechend sollte vor Inbetriebnahme eines Virtuellen Kraftwerks geprüft werden, welche Maßnahmen und Zertifizierungen gefordert sind. In Deutschland prüft der TÜV Rheinland die Erfüllung der geforderten Standards. Unser Virtuelles Kraftwerk und die VPP-Lösung NEMOCS sind nach ISO/IEC 27001 und ISO/IEC TR 27019 zertifiziert.
Auch diese Frage kann über das Gelingen eines VPP-Vorhabens entscheiden. Denn die Kommunikation mit den vernetzten Anlagen läuft bei Nutzung einer eigenen Fernsteuereinheit wie der Next Box über eine GPRS-Verbindung, die mit einer SIM-Karte hergestellt wird. So ist etwa für die Übermittlung von Schaltbefehlen an die Anlagen eine ausreichend hohe Verbindungsqualität erforderlich.
Hier kommt es auf Ihre Anforderungen und das Budget an. Wenn Sie Kosten- und Personalaufwand für eine selbst gehostete VPP Softwarelösung vermeiden möchten, kann eine VPP-Software-as-a-Service-Lösung sinnvoll sein. Hiermit erhalten Sie Support in der Planungs- und Umsetzungsphase und profitieren von den Erfahrungen und Serviceleistungen des VPP-Betreibers. Ein weiterer Vorteil: Wenn eine 24-h Betriebsbereitschaft angeboten wird, haben Sie die Sicherheit, dass die Systeme, auf denen Ihr Virtuelles Kraftwerk läuft, jederzeit überwacht und kontinuierlich optimiert werden.
Während in entwickelten Märkten die Wege meist vorgezeichnet sind – etwa was Ausschreibungsmechanismen, Subventionen und Marktzugänge betrifft – muss in neuen Märkten Pionierarbeit geleistet werden. Oft gelingt der Einstieg hier über Pilotprojekte der Netzbetreiber. Auch bilaterale Verträge zwischen VPP-Betreibern und größeren Stromabnehmern sind denkbar.
Was sich zunächst herausfordernd anhört, ist aber auch die Chance, neue Märkte zu erschließen und Ideen für den Strommarkt der Zukunft zu realisieren. Als wir 2009 in Deutschland gestartet sind, gab es noch keine Virtuellen Kraftwerke. Erneuerbare Energien wurden weder von privatwirtschaftlichen Akteuren an den Strombörsen gehandelt, noch konnten sie Systemdienstleistungen bereitstellen. Heute zeigen wir mit fast 9000 Anlagen in unserem Next Pool, was alles möglich ist – und was in Zukunft noch auf vielen Energiemärkten weltweit möglich sein wird.
Hinweis: Möchten Sie mehr über unsere VPP-as-a-Service-Lösung NEMOCS wissen? Hier finden Sie weitere Informationen: Mehr zu NEMOCS
Weitere Informationen und Dienstleistungen