
Die Illusion einer Kupferplatte #3
Wie in Teil 2 unserer Serie beleuchtet, führt ein Preiszonenmodell zur Abnahme von Transportengpässen durch regionale Preisgestaltung. Über einen solchen Engpasspreis entstehen mittelfristig viele Vorteile:
- Zeitlich begrenzte regionale Strompreise setzen Anreize zu einem sinnvollen Kraftwerkseinsatz unter Berücksichtigung von Transportengpässen.
- Ordnungseingriffe einer übergeordneten marktfernen Instanz sind nicht mehr nötig oder werden reduziert.
- Es entstehen regionale Märkte für Strom. Bei bestehenden Netzengpässen finden sich Angebot und Nachfrage auf regionaler Ebene.
- Der Einsatz von Technologien, die auf die Verbraucher vor Ort passen, wird durch regionale Strommärkte wahrscheinlicher – Innovationsanreize werden freigesetzt.
- Fehlallokationen von großen Stromabnehmern und/oder Stromproduzenten wird vorgebeugt – bei der Standortwahl neuer Akteure werden Netzengpässe berücksichtigt und somit nicht verstärkt.
- Die Notwendigkeit von Netzausbaumaßnahmen wird reduziert, da nicht mehr jede Lastspitze vom Übertragungsnetz abgefangen werden muss.
Und ein solches Modell trägt auch einem simplen Gedanken Rechnung: Strom ist nicht immer gleich viel wert. Netzengpässe veranschaulichen diesen Wertunterschied sehr deutlich, werden aber in Deutschland durch die aufrechterhaltene Illusion einer bundesweiten Kupferplatte kaschiert. Ein Preiszonenmodell nach skandinavischem Vorbild wiederum lässt den Wertunterschied nicht nur sichtbar werden, es bepreist ihn sogar.
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Was sind die Nachteile des Preiszonenmodells?
Die Gegner von Preiszonenmodellen führen eine Reihe von Argumenten ins Feld, die auf Schwierigkeiten regionaler Strommärkte hinweisen:
- Eine Regionalisierung des Strommarkts führt zu weniger Konkurrenz. Je nach Größe der festgelegten Marktgebiete kommt es zu einer Konzentration großer Stromproduzenten und Stromverbraucher, die nicht unbedenklich ist, da so ein kollusives Verhalten der Marktteilnehmer gefördert wird. Da die Strompreise in den einzelnen Marktgebieten abhängig von Netzknotenpunkten sind ("nodal pricing"), könnten große Marktakteure versuchen die Preise zu bestimmen.
- Zwar wird die Transportkapazität des Stromnetzes berücksichtigt, allerdings zu Lasten anderer Transportnetze – wenn ein neues Stahlwerk im Landesinneren gebaut wird, weil die dortige Preiszone günstiger ist als an der Küste, müssen künftig Millionen Tonnen Stahl ins Landesinnere transportiert werden anstatt in Hafennähe verwertet zu werden. Betriebswirtschaftlich mag dies zwar sinnvoll sein, doch führt eine solche Entscheidung zu weiterführenden infrastrukturellen Problemen – das Stromnetz muss zwar nicht weiter ausgebaut werden, dafür aber eventuell das Straßen- oder Schienennetz.
- Im Preiszonenmodell kostet Strom nicht überall das gleiche. Dies wird dem Charakter von Strom als existentiellem Gut innerhalb von Gesellschaften nicht gerecht. Zudem schwankt im Preiszonenmodell der Strompreis je nach den Investitionsentscheidungen der Akteure und schadet so der langfristigen Investitionssicherheit.
- Die Einführung eines Preiszonenmodells fordert enormen politischen Willen und administratives Geschick. Je nach Grenzziehung der Preiszonen wird es zu Beginn teurere Zonen geben und solche, in denen der Strompreis günstiger ist als zuvor. In einem föderalen System sind solch weitreichende Entscheidungen erfahrungsgemäß schwierig durchzusetzen.
Die einheitliche deutsche Strompreiszone in der Diskussion
Die Bundesregierung sorgt sich um den Erhalt der gesamtdeutschen Preiszone und möchte bis zum 15. November 2017 eine beschlussfähige Verordnung vor das Kabinett bringen, die die einheitliche deutsche Strompreiszone unbefristet festlegt. Denn die bisherige Preiszone ist lediglich historisch gewachsen, besitzt aber keine Rechtsverbindlichkeit. Es bestehe daher die Gefahr – so die Bundesregierung – dass die Gebotszone durch die Übertragungsnetzbetreiber aufgeteilt werden könnte. Auch seitens der EU-Kommission wächst der Druck auf die einheitliche deutsche Preiszone. Derzeit prüft Brüssel die Konfiguration der Gebotszonen und stellt dabei das Konzept großer gekoppelter Preiszonen ausdrücklich in Frage.
Hintergrund der Diskussion ist die immer noch wachsende Ungleichheit der regionalen Rahmenbedingungen im deutschen Strommarkt. Im Norden mit hoher Erzeugung und geringem Verbrauch sinken die Preise, im Süden steigen sie bei hohem Verbrauch und geringer Erzeugung an. Das Ausschreibungsmodell des EEG 2017 hat diesen Effekt eher noch verstärkt. Durch verminderte wirtschaftliche Anreize werden noch weniger Windräder im Süden aufgestellt, die Begrenzung im Norden durch die Netzausbaugebiete zeigt zu wenig Wirkung.
Ob vor dem Hintergrund des aktuellen Modus vivendi im deutschen Stromsystem die Vor- oder Nachteile des Preiszonenmodells überwiegen, sei jedem Leser selbst überlassen. Interessant scheint uns dieser Blick über den Tellerrand jedoch vor allen Dingen, um die hausgemachten Probleme im deutschen Stromnetz schärfer zu erkennen. Wer weiß, vielleicht lässt sich so die eine oder andere Illusion auflösen?
Weitere interessante Links:
- Einen interessanten Artikel zur Thematik finden Sie in der Taz vom 8. Oktober 2014
- Auf klimaretter.info finden Sie einen Beitrag vom 30. Mai 2016 zu Bestrebungen der EU, Deutschland möglicherweise in zwei Stromzonen aufzuteilen.
- Auf energyandcarbon.com schreibt Gerard Reid am 16. Juni 2016 darüber, wie lokale Strommärkte Netzengpasssituationen effizienter und kostengünstiger beheben können als reiner Netzausbau.
- Warum die Bundesregierung die einheitliche deutsche Strompreiszone schnell per Verordnung verankern möchte, erläutert Stefan Hanke im energate messenger+ vom 27.10.2017.
Fotonachweis: Oesterreichs Energie
Hinweis: Next Kraftwerke übernimmt keine Gewähr für die Vollständigkeit, Richtigkeit und Aktualität der Angaben. Der vorliegende Beitrag dient lediglich der Information und ersetzt keine individuelle Rechtsberatung.
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