Die deutsche Energiewirtschaft steht vor einer grundsätzlichen Veränderung: Bislang gilt das Prinzip des Energy-Only-Marktes (EOM), in dem Stromerzeuger ausschließlich für tatsächlich gelieferte Energie vergütet werden. Mit der geplanten Einführung des Kapazitätsmarktes ab 2028 soll künftig auch die reine Vorhaltung von gesicherten Kraftwerkskapazitäten vergütet werden – unabhängig davon, ob diese für die Stromproduktion genutzt werden oder nicht. Hiermit sollen Investitionsanreize für den Bau neuer Kraftwerkskapazitäten angereizt werden, die dann einspringen können, wenn nicht genug Energie aus Erneuerbaren Quellen verfügbar ist.
Wie dieser Kapazitätsmarkt konkret ausgestaltet werden soll, wurde im letzten Jahr im Rahmen der Plattform Klimaneutrales Stromsystem (PKNS) diskutiert – auch Marktakteure wie wir haben sich mit Stellungnahmen in die Debatte eingebracht. In einem im Sommer 2024 veröffentlichten Optionenpapier hatte sich das Bundeswirtschaftsministerium zuletzt für ein Modell ausgesprochen. Mit dem Scheitern der aktuellen Regierung könnten die Karten aber nun wieder neu gemischt werden. Es lohnt sich also, noch einmal einen Blick auf die unterschiedlichen Optionen zu werfen.
Neben dem zentralen Kapazitätsmarkt, bei dem eine zentrale Instanz die nötigen Kapazitäten ermittelt und beschafft, wurden im PKNS vor allem eine dezentrale Variante und ein Hybridmodell diskutiert. Wie sind die Varianten – vor allem mit Blick auf das Vorankommen der Energiewende – einzuordnen?
Ein rein zentraler Kapazitätsmarkt birgt das Risiko, dass ein bürokratisches Ausschreibungssystem geschaffen wird, das ineffiziente, konventionelle Kraftwerke bevorzugt und Hürden für innovative Technologien errichtet. So ist etwa fraglich, wie hoch die Chancen auf eine Marktteilnahme für Speicher oder Flexibilität auf Verbrauchsseite sind, da deren Einbindung sehr herausfordernd ist. Auch eine Ausschreibung von Überkapazitäten könnte durch das Modell entstehen – mit Auswirkungen auf die Preisgestaltung anderer Märkte.
So reduzieren Kapazitätsmechanismen Knappheitspreise, was wiederum dazu führt, dass Technologien, die im zentralen Modell schlechter eingebunden werden können, auch im Energy-Only-Markt weniger rentabel betrieben werden können. Unterm Strich sorgt so ein zentrales Modell dafür, dass fossile Kraftwerke länger betrieben und die Energiewende gebremst wird.
Der dezentrale Ansatz erscheint demgegenüber als das effizientere Verfahren, um Kapazitäten zu sichern. Die beteiligten Akteure entscheiden hier individuell, was die beste und kosteneffizienteste Form ist, um den Bedarf zu decken. So wird die Vorhaltung von Kapazitäten stärker marktorientiert umgesetzt. Der hierdurch entstehende Wettbewerb könnte neue Business Cases und Innovationen fördern. Zudem werden in diesem Modell eher Anreize geschaffen, Flexibilitätspotenziale auf Nachfrageseite zu erschließen. Kritiker des Konzepts werfen die Frage auf, ob über ein dezentrales System ausreichend gesicherte Kapazität für die Versorgungssicherheit bereitgestellt werden kann.
Eine kombinierte Variante ist daher die favorisierte Lösung des Bundeswirtschaftsministeriums und soll das Beste aus beiden Welten vereinen: zentrale Ausschreibungen für planbare Erlöse/Leistung auf der einen, Anreize zur Flexibilität auf Verbrauchsseite auf der anderen Seite. Zu befürchten ist jedoch, dass ein solcher kombinierter Kapazitätsmarkt ein überhohes Maß an Komplexität mit sich bringt. Denn hierbei müssen zwei an sich schon komplexe Modelle zusammengebracht und Lösungen für deren Zusammenspiel entwickelt werden. Die Hybridvariante könnte außerdem lange Abstimmungsprozesse erforderlich machen, was eine Umsetzung bis zum Jahr 2028 fraglich macht.
Nach wie vor offen ist außerdem die Frage, welche Rolle unterschiedliche Technologien im Kapazitätsmarkt spielen werden. Wie werden Bestandsanlagen, etwa Bioenergie und KWK, in den neuen Markt integriert? Diese flexiblen Kraftwerke spielen heute eine wichtige Rolle im Rahmen des bereits bestehenden Kapazitätsmarktes, der Regelenergie.
Und auch in den kurzfristigen Strommärkten, dem Day Ahead und Intraday-Markt, helfen dezentrale flexible Akteure, Erzeugungs- und Preisschwankungen durch volatile Einspeisung auszugleichen. Entsprechend wichtig ist es, diese Akteure im Rahmen des Kapazitätsmarktes mitzudenken und bestehende Flexibilitäten nicht aus dem Markt zu drängen.
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Entscheidend für die Ausgestaltung des neuen Kapazitätsmarktes ist, dass Innovationen gefördert, Flexibilität belohnt und zügig Rechtssicherheit geschaffen wird. So sollten Investitionsanreize für den Neubau von Kapazitäten geschaffen, aber auch Flexibilitätspotenziale auf Seiten der Stromverbraucher und flexibler Bestandsanlagen integriert werden. Sichergestellt werden sollte, dass alle Flexibilitätsoptionen in einem fairen und technologieneutralen Rahmen angereizt werden. Dies kann eher durch den dezentralen Ansatz oder durch eine stärkere Betonung der dezentralen Komponente im kombinierten Kapazitätsmarkt erreicht werden.
Komplexität, Bürokratie und ein hohes Maß an Regulatorik sind hingegen Risikofaktoren, die die Umsetzung eines effizienten Marktdesigns behindern könnten. Insbesondere ein zu stark regulierter Kapazitätsmarkt würde das eigentliche Ziel verfehlen: die Entstehung eines dynamischen und wettbewerblichen Marktes, in dem ein sinnvolles Zusammenspiel aus Erneuerbaren Energien, Speichern, flexiblen Verbrauchern und Back-up-Kraftwerken entsteht. Bei der Ausgestaltung des Kapazitätsmarktes ist also Fingerspitzengefühl gefragt, damit der Markt nicht zum Hemmschuh der Energiewende wird, sondern zu einem schnellen und erfolgreichen Umbau unseres Energiesystems beiträgt.
Dieser Artikel wurde als Gastbeitrag auf der Website der Stiftung Energie & Klimaschutz veröffentlicht.
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