Es kam, wie es kommen musste. Der letzte Dezember war unter Gesichtspunkten der Netzsicherheit an einigen Tagen problematisch. So problematisch, wie wir es aus den Vorjahren nicht kannten.
Wir haben seit Wochen und Monaten auf diese Situation und ihren Auslöser – ein radikal verändertes Marktdesign in der Regelenergieauktion – hingewiesen (hier und hier und hier). Denn für Stromhändler, die den Markt und das Marktdesign jeden Tag am eigenen Leib erfahren, war das alles recht vorhersehbar. Am Wochenende titelte die FAZ nun „Der Tag, an dem der Strom knapp wurde“ und zeigte am Beispiel der Großindustrie, zu welchen Problemen die gesunkene Netzsicherheit führt. Am Beispiel einiger Dezembertage, vor allem aber des 14. Dezembers 2018, stellt der Autor dar, wie Aluminiumhütten ihren Stromverbrauch drosseln und ihre Produktion herunterfahren mussten. Aber wer ist nun der Auslöser dieser Schwankungen? „Prognosefehler bei den erneuerbaren Energien“ heißt es im Text, immer munter sekundiert von Bundesnetzagentur und Übertragungsnetzbetreibern. Da fragt man sich als geneigter Strommarktinteressierter: Warum kann man an einem Tag die erneuerbaren Energien zuverlässig prognostizieren und an einem anderen Tag nicht? „Hochnebel“ wabert als Argument durch den Text, na ja. Aber weiter: Schließlich bleibt es dem Ende des Textes vorbehalten, die anstehenden Verhandlungen zum Kohleausstieg in Frage zu stellen. Sonst gibt’s bald keinen Industriestandort Deutschland mehr, ist mindestens der Subtext. Was wird wohl beim Leser hängen bleiben, der sich nur am Rande für den Strommarkt interessiert? „Wir können nicht aus der Kohle aussteigen, weil die Erneuerbaren zu unstet sind und sonst Deutschland den Bach runtergeht“. Diese Lesart ist verführerisch, denn sie ist einfach und jeder versteht sie. Sonne und Wind produzieren schließlich tatsächlich nicht so stetig wie Kohlekraftwerke. „Leider“ ist diese Lesart falsch, denn sie weist den Erneuerbaren Energien in altbewährter Tradition und den bekannten Reflexen die Rolle des Sündenbocks zu. Die Realität auf Sachebene ist ein wenig komplexer.
Exkurs: Warum die Aktivierung von Regelenergie oft günstiger ist als der Intraday-Preis
Die Bundesnetzagentur weist den Sachverhalt, dass die Aktivierung von Regelenergie günstiger sein kann als der Strompreis im Intraday-Handel, regelmäßig zurück. Sie verweist dabei auf die Regelung, dass der regelzonenübergreifende Ausgleichsenergiepreis (rebap) – im Grunde der Preis für die Aktivierung von Regelenergie – nie günstiger sein darf als der Intraday-Average an der Spotbörse EPEX (IDAVG). Sollte dies im Marktgeschehen vorkommen, wird der rebap nachträglich auf den IDAVG angehoben. Damit ist das Problem jedoch nicht im Geringsten gelöst. Warum? Der IDAVG ist, wie der Name nahelegt, der Durchschnittspreis aller erfolgten Trades (Käufe und Verkäufe) für eine bestimmte Stunde im Intraday-Handel. Zwingt nun eine Fehlprognose die Marktakteure zu einer Reaktion, um ihren Bilanzkreis glattzustellen, befinden sie sich in folgender Situation – ebenfalls der Deutlichkeit halber den 14.12.2018 in der Mittagszeit als Beispiel genommen:
Der IDAVG liegt zu diesem Zeitpunkt – 13h – bei 138,89 Euro pro Megawattstunde. Das bringt dem Händler aber nichts, da er ja das letzte Verkaufsgebot nehmen muss, und das liegt eben bei 307,29 Euro pro Megawattstunde. Wie erklärt sich der Unterschied? Im IDAVG sind alle günstigeren Trades enthalten, die noch vor Bekanntwerden der Prognosefehler getätigt wurden. Er ist also schlicht und einfach nicht geeignet, als Korrektiv aufzutreten, da seine Nutzung zur Stützung des rebaps unzulässig von den verschiedenen Zeitpunkten des Handels abstrahiert. Auch hier sind also nicht die Erneuerbaren Energien das Problem, sondern das Marktdesign, das ein rationales Handeln zur Prognosekorrektur erschwert und in der Tendenz somit den Prognoseausgleich auf die Regelenergiemärkte verlagert. Im Marktdesign vor Einführung des Mischpreisverfahrens war dieser Fehler im System übrigens irrelevant, da erst das Mischpreisverfahren die rebaps künstlich verbilligt hat.
Folgen eines Kunstfehlers
Und weil die Aktivierung von Regelenergie so billig geworden ist, wird sie viel aktiviert. Weil sie häufig und in großen Volumina aktiviert wird, sind die Reserven schnell erschöpft. Und wenn die Regelenergie erschöpft ist, greifen die abschaltbaren Lasten auf Seiten der Schwerindustrie. Und wenn die Schwerindustrie in Deutschland niest, eilt die FAZ mit dem Taschentuch herbei und holt den grünen Sündenbock hervor. Was hat das alles mit Prognosefehlern bei den Erneuerbaren Energien zu tun? Kurz gesagt: Gar nichts, denn die Prognosefehler gab und gibt es immer wieder – beispielsweise auch am 2. November 2017. Durch das neue Marktdesign ist das System nur nicht mehr in der Lage, mit den geänderten Prognosen so umzugehen wie zuvor. Die Bundesnetzagentur hat zwar im Schnellschuss das Marktdesign geändert, das alles leider aber noch nicht wirklich verstanden und offensichtlich auch kein Problem damit, den schwarzen Peter bei den Erneuerbaren zu sehen. Es ist ja schließlich einfacher, die Ursache des Schnupfens bei den Erneuerbaren zu suchen und munter Kohletabletten zu verschreiben, als den eigenen Kunstfehler zuzugeben.
Klasse Artikel, sehr instruktiv! Ich lesen nunmehr fast alle Beiträge auf dieser Webseite.
@kunz: Wie sieht denn die Lösung aus?
@kunz: Und was ist die Lösung?
Interessant wäre zu diesem Artikel mal ein Statement von der FAZ. Sofern Ihre Hintergrundinformationen korrekt sind, ist das eine gute Arbeit! Well done!
Danke für die interessante und aufschlussreiche Analyse, Zusammenhänge jetzt deutlich verständlicher geworden.
Kein Kommentar, sondern eine Frage. Wie kam das Ungleichgewicht im 3. Quartal 2015 zustande (siehe Graphik) , obwohl damals das neue Mischpreisverfahren der Bundesnetzagentur nicht in Kraft war?
Ich habe nur ein paar frage zu meinem besseren Verständnis : 1.Was macht NEXT eigentlich ? 2. Was ist ein virtuelles Kraftwerk ,wie unterscheidet es sich von einem imaginären ?
Danke für das Feedback. Wenn es sich einschieben lässt, betrachten wir diesen Vorschlag im Blog gerne genauer.
Wie erklären Sie es denn dann, dass es in den letzten Jahren, in denen Windkraft und PV ähnlich produzierten wie im Vorjahr, nicht zu Systemungleichgewichten gekommen ist?
Danke, Benedikt!
Für den überwiegenden Teil der „Normalleser“ möchte ich die These aufstellen, dass er das komplexe Thema Energiewirtschaft nur marginal versteht. Teilweise gehen - auch in der FAZ - Begriffe durcheinander wie Energiebedarf, Energieerzeugung, Megawatt und Megawattstunden etc. Hier würde man sich doch etwas mehr Expertise wünschen.
Vielen Dank für den interessanten Beitrag. In der Tat scheint die Bilanzkreistreue unter zu niedrigen Ausgleichsenergiepreisen zu leiden. In einem weiteren Blogbeitrag könnte man auf die Berechnungsmethodik des rebap (https://www.regelleistung.net/ext/download/methodologyRebap) eingehen. Meines Erachtens fehlt eine adäquate Aktualisierung des Bezugsrahmens der Kopplung zwischen Regelenergie und Intraday-Handel. Die Kopplung erfolgt meines Wissens nach dem mengengewichteten durchschnittlichen Preis am Intraday für das jeweilige Stundenprodukt. Um die Bilanzkreistreue zu stärken sollte man den höchsten Preis am ID-Handel für das jeweilige 1/4-h-Produkt als Untergrenze für den rebap heranziehen. Nur dann ist gewährleistet, dass Marktakteure sich nicht aus wirtschaftlichem Interesse in das Fangnetz Regelenergie fallen lassen. Viele Grüße, Emil Kraft
Thumbs up! Well written!
Das bittere ist, dass dies jetzt wohl wieder in den asozialen Medien populistisch ausgeschlachtet wird. Nicht, dass es dafür Artikel der FAZ bedürfte...
Wind -und Solarstrom sind die Ursache da Wind und Sonnenscbein nicht beherrschbàr sind. Da braucht es nicht so viel gruenes BlaBla um dies zu verstehen
Tolle Zusammenfassung des Sachverhalts!