Nach einer zweijährigen Entwicklungsphase stellen Next Kraftwerke und Jedlix seit August 2020 dem niederländischen Stromnetz Sekundärreserve (aFRR) mit einem Pool von Elektrofahrzeugen (EVs) bereit. Nick Hubbers, Jedlix, und Elias De Keyser, Next Kraftwerke, erzählen von ihren Ambitionen, wie sie dieses Projekt auf die Straße gebracht haben und was sie dabei über den Einsatz von Elektrofahrzeugen für die Bereitstellung von Regelenergie gelernt haben. Anschnallen und los geht‘s!
Könnt ihr kurz erklären, wie die Bereitstellung von Regelenergie mit einem Pool aus E-Autos funktioniert?
Nick Hubbers: Jedlix hat eine Smart Charging-App entwickelt, in der die Fahrer von Elektrofahrzeugen ihre Ladepräferenzen angeben. Jedlix sammelt diese Informationen und kombiniert sie mit dem Echtzeit-Monitoring des Fahrzeugpools. All diese Informationen werden genutzt, um den Ladevorgang zu optimieren und die verfügbare flexible Leistung in den kommenden Stunden zu prognostizieren. Diese aggregierte Flexibilitätsprognose geben wir dann an Next Kraftwerke weiter.
Elias De Keyser: Die verfügbare Flexibilität wird anschließend dem niederländischen Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) TenneT als Sekundärreserve angeboten. Das heißt, sobald größere Netzschwankungen auftreten, stoppen oder starten wir den Ladevorgang der Elektroautos, um einem Stromdefizit oder -überschuss im Netz entgegenzuwirken. Ein unverzichtbarer Aspekt bei der Bereitstellung von Regelenergie ist die Garantie, dass wir bereitstehen und liefern, wenn der Netzbetreiber uns braucht. Deshalb haben wir eine Sicherheitsmarge eingebaut, um Autos zu berücksichtigen, die unerwartet aus dem Pool herausfallen. Durch die Kombination aus E-Autos und anderen flexiblen Technologien wie Biogas oder Power-to-X wird die Zuverlässigkeit des Gesamtpools weiter erhöht.
Können teilnehmende EV-Fahrer die Ladevorgänge denn auch unangekündigt abbrechen?
Nick Hubbers: Ja, das können sie. Der Fahrer kann sein E-Auto uneingeschränkt nutzen. Bricht ein Fahrer den Ladevorgang früher als ursprünglich in der App angegeben ab, passen wir unser Flexibilitätsangebot an TenneT an. Natürlich profitiert der Fahrer dann weniger von den Erlösen aus der Aktivierung der Regelenergie, da er nur dann aFRR bereitstellen kann, wenn er an eine Ladesäule angeschlossen ist.
Das macht Sinn. Wie profitieren die Fahrer?
Nick Hubbers: Für jede Kilowattstunde intelligenter Aufladung erhalten die Fahrer eine finanzielle Vergütung. Die App bietet ihnen allerlei Einblicke – darunter auch eine Einsicht in ihre so generierten Einnahmen. Sobald eine bestimmte Schwelle erreicht ist, wird der Betrag auf ihr Bankkonto überwiesen.
Wie kontrolliert TenneT die Reaktion auf ihre aFRR-Aktivierungen?
Elias De Keyser: Für alle Autos im Pool überwachen wir den aktuellen Stromverbrauch in Echtzeit und den erwarteten Stromverbrauch eine Minute im Voraus. Letzterer wird als Baseline bezeichnet. Wir senden diese Informationen über unseren gesicherten Kommunikationskanal an TenneT. Auf diese Weise kann TenneT beobachten, wie stark wir während einer aFRR-Aktivierung von unserem Plan abweichen, und somit bewerten, wie viel aFRR wir geliefert haben.
Wo wird die Ladeleistung gemessen - im Auto oder an der Ladesäule?
Nick Hubbers: Im Auto. Moderne Elektrofahrzeuge sind mit sehr vielen Sensoren und Messgeräten ausgestattet, die es uns auch erlauben, den Stromverbrauch des jeweiligen Autos zu erfassen. Das ist ein neuer Ansatz, den wir im Rahmen des Pilotprojekts entwickelt haben. Er macht die Lieferung von aFRR technisch unabhängig von der Art der Ladestation. Aufgrund administrativer Beschränkungen kann die Lieferung von aFRR jedoch aktuell nur über die Ladegeräte zu Hause erfolgen. Technisch gesehen könnte die Lieferung jedoch bereits von jeder Ladestation im Land aus geschehen.
Akzeptiert TenneT diese Messwerte anstelle der üblichen Messgeräte der Netzbetreiber?
Elias De Keyser: Ja, sofern ein Automodell ein umfangreiches Testverfahren durchlaufen hat, das Jedlix und TenneT während des Pilotprojekts gemeinsam entwickelt haben. Die Tests fanden im Testlabor von ElaadNL statt, einem Innovationszentrum für intelligente Ladetechnik, das von einem Konsortium niederländischer Netzbetreiber eingerichtet wurde. Dank dieser Tests können wir TenneT nachweisen, dass jedes Auto genau und rechtzeitig auf die aFRR-Aktivierungssignale reagiert.
Offensichtlich gab es bei diesem Projekt wenig, auf dem man aufbauen konnte; die meisten Prozesse mussten von Grund auf neu entwickelt werden. Was hat euch gereizt, an dem Pilotprojekt teilzunehmen?
Elias De Keyser: In Bezug auf das Netzausgleichsvolumen und -budget ist die Sekundärreserve der wichtigste Mechanismus zur Ausbalancierung der Netzfrequenz. Deshalb haben wir uns sehr gefreut , dass TenneT untersuchen wollte, wie aFRR-Kapazität aus verschiedenen Quellen bezogen werden kann. Durch die Zulassung neuer Formen dezentraler Flexibilität wie EVs wird der aFRR-Markt wettbewerbsfähiger. Das Ergebnis werden niedrigere soziale Kosten für den Ausgleich im System sein. Eine große Gruppe kleinerer Einheiten ist auch zuverlässiger und weist geringere CO2-Emissionen auf als die großen Kraftwerke, die in der Vergangenheit aFRR bereitgestellt haben.
Nick Hubbers: Dieses Pilotprojekt war ein Beispiel dafür, wie man in der realen Welt etwas bewirken und die richtige Balance zwischen einer abgesteckten Versuchsumgebung (Sandboxing) und der Interaktion mit realen Betriebssystemen finden kann. Durch die Teilnahme konnten wir zeigen, dass EVs, die zu Hause aufgeladen werden, Regelenergie erbringen und einen wichtigen Beitrag zu einer nachhaltigen Stromversorgung leisten können.
Die Niederlande werden oft als führend in der Elektromobilität angesehen. Könnt ihr euch vorstellen, mit EVs auch auf dem deutschen Markt Regelenergie zu liefern?
Elias De Keyser: Die Bereitstellung von Regelenergie mit mobilen Anlagen ist etwas komplexer als mit stationären Anlagen, insbesondere, wenn sie an das Niederspannungsnetz angeschlossen sind. Es sind mehrere Fragen zu klären wie: In welchem Bilanzkreis wird die Regelenergie bereitgestellt? Welche Auswirkungen hat dies auf den Haushaltsversorger? Wie können Präqualifizierungsprozesse so gestaltet werden, dass sie für alle funktionieren? In Deutschland müssen diese Fragen zunächst noch geklärt werden. Projekte wie das mit Jedlix und TenneT sind sehr wertvoll, weil wir aus ihnen lernen können, wie diese Fragen am besten lösen. Es schafft auch Vertrauen bei anderen europäischen Netzbetreibern, dass dezentrale Flexibilität zuverlässig Systemdienstleitungen erbringen kann.
Was war Eure größte Erkenntnis aus dem Pilotprojekt?
Elias De Keyser: Wir liefern seit mehreren Jahren aFRR in Ländern wie Deutschland, aber wir hatten keine Erfahrung mit Elektroautos. Dieses Pilotprojekt war eine Gelegenheit, unsere Grenzen zu erweitern und mit dem Flexibilitätspotenzial einer EV-Flotte zu experimentieren. Wir haben auch einen einzigartigen Ansatz entwickelt, um die E-Autos in unseren Pool zu integrieren, wobei Jedlix als Pre-Aggregator fungiert. Die Integration mit ihren Systemen bietet eine Blaupause für andere Integrationen von Flotten, zum Beispiel von Heimspeichersystemen und elektrischen Heizkesseln. Dies wird sich in naher Zukunft als nützlich erweisen, zum Beispiel in unserer Zusammenarbeit mit Sonnen.
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Nick Hubbers: Offensichtlich sind wir davon ausgegangen, dass EV-Fahrer bereit wären, Regelenergie bereitzustellen. Dennoch war es für uns sehr beruhigend zu sehen, dass sie sich auch wirklich engagieren. Aus technischer Sicht haben wir gelernt, dass es herausfordernd, aber machbar ist, aFRR bereitzustellen. Für eine nachhaltige Lösung und die Teilnahme am regulären Markt gibt es jedoch noch einige regulative Hindernisse zu überwinden. Wir haben verstanden, dass die Rolle eines unabhängigen Aggregators für das etablierte System neu ist und erst noch ihren Platz finden muss. Vorerst sind wir daher sehr froh, dass wir unser Hauptziel erreicht und gezeigt haben, dass Elektrofahrzeuge erfolgreich aFRR bereitstellen können.
Die Fragen stellte Lotte Lehmbruck.
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