Die Energiewirtschaft spricht über die zwei Megatrends unserer Zeit: Die Liberalisierung der Energiemärkte und die Dezentralisierung der Energielandschaft. Auch über die Digitalisierung wird viel gesprochen – meistens jedoch mehr in die Richtung: „Wir haben doch schon lange ‘nen Twitter-Account!“
Wenn die Sprache auf tatsächlich neue Netzwerk- und Plattformlösungen kommt, herrscht häufig betretenes Schweigen.
Liberalisierung und Dezentralisierung wurden in Gesetzen beschlossen, nämlich in den Neufassungen des EnWG in den Jahren 1998 und 2005 und dem EEG aus dem Jahr 2000. Die Liberalisierung zwang einige Versorger nach 1998 ihre Netze abzugeben, was sie mehr oder weniger missmutig hinnahmen.
Die Dezentralisierung kam schleichender mit dem Bau von mittlerweile Millionen kleiner Erneuerbaren- und KWK-Anlagen. Heute gehört der größte Teil dieser Anlagen Privatpersonen oder Vereinigungen von Privatpersonen (47 Prozent der installierten Leistung) und nicht den Versorgern (nur 12 Prozent der installierten Leistung). Diese Situation ist zu einem nicht unerheblichen Teil darauf zurückzuführen, dass die zögerlichen Versorger den Tsunami, der da auf sie einrollte, erst sehr spät erkannten und nun mit unprofitablen Kohle-, Gas- und Atommeilern dastehen.
Nun, da sich die ersten großen Versorger mit der Realität von Liberalisierung und Dezentralisierung abgefunden haben und mit der Umstrukturierung beginnen, kündigt sich mit der Digitalisierung die nächste große Welle an – mit nicht minder bedrohlichen Auswirkungen. Denn bei der Digitalisierung ist Zögerlichkeit keine Option und sie wird auch nicht wieder verschwinden. Der Grund hierfür ist nicht etwa, dass nächstes Jahr der per Gesetz zwangseingeführte Smart-Meter-Rollout starten wird oder dass das Internet mittlerweile so sehr zu unserem Leben gehört, dass jeder unbedingt seine Stromrechnung online einsehen möchte.
Der tatsächliche Grund ist, dass wir nur dann ein sicheres Stromnetz aus Millionen kleinen, dezentralen Anlagen gewährleisten können, wenn wir sie digital vernetzen und intelligent steuern.
Die oben angesprochenen Privatpersonen, denen das Gros dieser Anlagen gehört, sind keine Energiemarktexperten. Sie können in aller Regel kein eigenes Bilanzkreismanagement durchführen oder zuverlässige Einspeiseprognosen erstellen, mit denen Netzbetreiber arbeiten können. Und selbst wenn sie es könnten, wäre das Ergebnis ziemlich ineffizient, wenn man betrachtet, dass es allein in Deutschland mehr als 800 Netzbetreiber gibt. Diese Anlagen müssen also von digitalen Versorgern vernetzt werden, die sie intelligent steuern, um Angebot und Nachfrage im Gleichgewicht zu halten. Die Frage ist: Werden die analogen Versorger der Vergangenheit die digitalen Versorger der Zukunft sein?
Damit das passiert, müssten Versorger die Chancen der Digitalisierung verstehen. Sie müssten langfristige Strategien erarbeiten, neues Personal einstellen, das diese Strategien umsetzen kann, oder mit bereits bestehenden Digitalunternehmen zusammenarbeiten. Kurzum, damit das passiert, müssten die Versorger ungewohntes Terrain betreten – sicher kein Spezialgebiet von jahrhundertealten Organisationen, deren weitläufige Strukturen aus der Tradition erwachsen sind.
Aber eben weil diese Organisationen in den letzten beiden Jahrzehnten schon ordentlich durchgeschüttelt wurden, bietet ihnen nun gerade die Digitalisierung die einmalige Chance, aus der Neuausrichtung als Unternehmen des digitalen Zeitalters hervorzugehen.
Was sind nun die Erkenntnisse, die wir aus den drei Megatrends für den Strommarkt der Zukunft ableiten können?
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Einmal angenommen, dass diese Erkenntnisse zutreffen, welche Marktakteure wird es in der Zukunft geben?
Für analoge Versorger bleibt aus dieser Sicht kein Platz mehr im Strommarkt der Zukunft. Sie müssen sich also entscheiden: Werden sie zu Investoren, die kaum noch in den eigentlichen Betrieb ihrer Kraftwerke involviert sind, zu Energielieferanten ohne Anlagen oder zu digitalen Versorgern?
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